LK 10

literatur konkret Nr. 10

Unsere Dichter. Das Neueste. Das Letzte

Der neue Lenz ist da. Auch Walser hat geliefert. Dazu Bölls letzter Roman. Nur Grass ist nicht fertiggeworden. Zu besichtigen ist die 85er Produktion der nachkriegsdeutschen Großschriftstellerei (BRD). Großschriftsteller ist, über wessen Werke Rezensenten und Publikum sich halbwegs einig sind: Bestseller mit Prädikat. Anders als die jeweils aktuelle Szene-Literatur ist die Großschriftstellerei dauerhaft, unterscheidet sich von jener wie multiple Sklerose von Windpocken. Das Bild ist so schief nicht: Großschriftstellerei ist die Krankheitsgeschichte einer Gesellschaft und ihre Medikamentierung zugleich. Woran wird 1985 gelitten? Was wird verschrieben?  
 
»Leider bin ich kein Grass oder Böll oder Frisch, sondern nur ein mittelprächtig gehender Autor, habe mehr Gegner als Freunde... Das ist meine 'Höhe des Ruhms'...  
 
Aber das macht nichts. Es kommt nur darauf an, daß das, was man macht, so gut wie möglich wird«, schrieb Alfred Andersch seiner Mutter. Literatur, die den Namen verdient, ist immer so entstanden. Dabei ist Unverkäuflichkeit nie ein sicheres Indiz für Qualität, Verkäuflichkeit aber fast immer ein Zeichen für literarische Schwäche.  
»Das Parfum« verfliegt rasch.  
 
Die Mode des Jahres ist die »Postmoderne« (der Laie, dem da der Schwarz-Schilling in den Sinn kommt, könnte die Fachleute beschämen). »Postmoderne Sprache ist ein Schummelpaket, das überall herumliegt, von jedem beliebig zu benutzende Verpackung für alles und das Nichts« (Michael Wulff) - das ideale Medium für allen second-hand-Schnickschnack, für die Lust am Exotischen, an Fantasy und Zen, an der Geschichte des Geruchs und der Ästhetik der Kanalisation.  
 
Wer hält stand? LITERATUR KONKRET versucht es. Ohne Anschluß ans Kabelnetz des Literaturbetriebs, ganz altmodisch, schwarz-weiß. Nun schon zum 10. Mal. 

Inhalt

Editorial 

Unsere Dichter. Das Neueste. Das Letzte. von Hermann L. Gremliza
Lenz, Walser, Böll: ein Zug durch die bundesdeutsche Großschriftsteller-Gemeinde. Wo wird was erzählt? Und wie? Und wem? Und was taugt diese Literatur?
 
Der Chinesische Turm im Garten zu Babel von Ursula Krechel
Konvolute von Berichten über die Volksrepublik China haben das Fremde abgefrühstückt, zurück bleibt das große gelbe Meer des nahezu Unbegreiflichen.
 
Sommerloch, oder: wie das Posthistoire einmal fast Geschichte gemacht hätte von Hermann Peter Piwitt
Manchmal guckt er so bitter und erschöpft wie einer, der einen ganzen Sommernachmittag versucht hat, Fliegen in die Freiheit zu lassen aus dem Fenster raus ...
 
Kein Wunderland für Alice von Antje Vollmer
»Wenn die Frau das Recht hat, das Schafott zu besteigen, so muß sie auch das Recht haben, die Tribüne zu besteigen.« Oder in der ersten Reihe Platz zu nehmen. Über Ernst Bloch und das Prinzip Hoffnung
 
Phantastische Literatur - Sittenwächter oder Irritation? von Eberhard Hübner
 
Synthetischer Zauber von Hartmut Böhme
Publikumsliebling der Saison ist ein Künstlerroman mit feinem Gespür für die Verelendung der narzißtischen Leserwünsche. Der Zeitgeist wird befriedigt, und der Erfolg ist zwingend. Die durch und durch böse Hauptfigur des Romans markiert eine historische Grenze.
 
Soll man junge Computer taufen? von Martin Frank
Die Frage, ob künstliche Intelligenz eines Tages die menschliche ersetzen wird, ist für Martin Frank keine. Er hält Computer für ein überaus praktisches Romanbauwerkzeug, um das ihn viele Dichter beneidet hätten
 
Immer galant zu den Dichterinnen von Ingrid Klein
Während sich Literaturwissenscbaftlerinnen um Definitionen zum Thema »weibliches Schreiben« bemühen, verstärkt sich der schriftliche »Geständniszwang«. Ingrid Klein hält beides für problematisch
 
Wer wagt die de vierfache indirekte Rede? von Walter Klier
Die Qualität der österreichischen Literatur entsteht durch den Vergleich mit sich selbst. Ein Streifzug von Walter Klier
 
Dauer empfinde ich als verehrungswürdig von Günter Herburger
Der Langstreckenläufer ist Spion, Bote und Kurier, der Orte miteinander verbindet. Der Schriftsteller als Langstreckenläufer ist sein eigener Spion, Sammler und Chronist. Vor und nach seinem Einhundert-Kilometer-Lauf sprach Jens-Peter Behrend mit Günter Herburger
 
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Wenn Sie wenigstens 1 x im Monat sowas lesen wollen:Unschuld und Sühne
 
Wenn wir die Sterne erobern, dann nur per Rad von Otto Jägersberg
Um das Wohlwollen der Minister Volkssport, Verkehr & Vernunft bemüht sich unsere Abteilung Velo-Poesie mit einigen radkundlichen Anmerkungen, Oden, Hymnen, einem Lob dem Fahrrad im Gedicht und pedalmüden Seufzern von Otto Jägersberg
 
Einhundertundsechs Jahre Haft von Walter Boehlich
Der Mensch ist ein Lernwesen, oder kann es sein. Bei dem neuesten Glaßbrenner-Herausgeber meldet Walter Boehlich diesbezüglich starke Zweifel an
 
Die Kartoffel wird obligatorisch von Michael Wulff
Wo Autoren dichtgedrängt um ihre Profile ringen, sind die der Medien nur mühsam auszumachen. Die Rede ist von Literaturzeitschriften, dem ärgerlichsten aber lebendigsten Teil des Literaturbetriebs.
 
Dichter ran! von Horst Tomayer
 
Kennt jemand Sigi? von Frieder Kern
Sigi, kurz das Haar und lang das Bein, ist auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten verschwunden. Frieder Kern stürzt sich ins Getümmel der Buchmesse und sucht sie
 
Die Situation kurz vor dem Schweigen von Hans Willes
Ein paar Bilder und kurze Texte, fadengeheftet zwischen glänzenden Buchdeckeln und »DaCapo« betitelt, lösten eine kleine Erregung aus.
 
Die Frau - das liegt weiter zurück als die jungen Frauen denken von Marguerite Duras
Marguerite Duras über das Kino und das Fernsehen, über Peter Handke und Homosexualität, über ihre beiden letzten Bücher, über Frauen, Liebesgeschichten und Schmerz
 
Wer zum Teufel würde es sonst lesen? von Kristian Klippel, Janwillem van de Wetering
Er studierte Philosophie in London, lebte in Südafrika und Japan, war Chemiehändler in Kolumbien, Landverkäufer in Australien, Polizist in Holland und lebt heute mit Frau und Katzen im US-Staat Maine.
 
Dispens von der gebräuchlichen Welt von Brigitte Kronauer
Nach dem Erscheinen ihres ersten und einzigen Romans im Jahre 1943 wurde die 26jährige Jane Bowles rasch zu einer Berühmtheit der New Yorker Avantgarde - und bald zu einer Legende.
 
Melancholie für Fortgeschrittene von Ursula Keller
Die Nachtstücke der Djuna Barnes.
 
Wenn ich einst bessere Nerven und Humor besitze von Wolfgang Fritz Haug
22 Jahre gab Franz Pfemfert »Die Aktion« heraus. Nach 1918 allerdings ohne Literatur und Kunst. In dem Bereich hatte er zu wenig Mitstreiter gefunden. 
 
Eigenschaften der Verlierer von Karl-Heinz Götze
Eine durch nichts gefährdete Liebe verband Alfred Andersch über zwanzig Jahre brieflich mit seiner Mutter. - Seine unermüdliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft als Mäzen zeigt der Briefwechsel mit Arno Schmidt. Karl Heinz Götze über die beiden Dokumentationen
 
Die Zechs, Grubers und Schlotts von Jürgen Pelzer
Den Mythos der »Stunde Null« demontierte ein Theaterstück von Michael Schneider, das jetzt zusammen mit einer Dokumentation erscheint - aus sehr aktuellem Anlaß. 
 
Du bist anders als all die anderen von Christel Dormagen
Aus der Zweisatzrezension »Ich habe die Bücher gelesen. Und es war nicht umsonst« entspann Christel Dormagen den folgenden Briefwechsel mit der gedoubelten Redakteurin
 
Dem Leben kann man nur davonlaufen von Matthias Altenburg
 
Das rote Tuch des Minotaurus von Silvia Bovenschen
Meienbergs Reportagen sind ungewöhnlich, weil er auf die als Ereignis bezeichneten Ereignisse verzichtet und stattdessen genau recherchiert. Er ist ein ernsthafter Chronist, ein indiskreter Mensch und überhaupt nicht nett, aber er kann schreiben.
 
Schläft das Miezekätzchen? von Detlef Klein
Die letzte Erfindung des Vaters der Atombombe vereist alle Kontinente und Weltmeere. Eine Endzeit-Vision als Science-Fiction-Burleske für die kleine Vonnegut-Kultgemeinde.
 
Der Arsch der Genossin von Werner Heine
Der Mörder kann nicht der Gärtner gewesen sein, denn nur Genossen hatten Zutritt zur Tagung, die für den Führer der spanischen KP die letzte war.
 
Zum Schluß bleibt nur noch ein Name von Friedemann Pfäfflin
Geschichten, die das unbeschreibliche Leben beschreiben, schwelgend in nüchternen Sätzen.
 
Anneli beschließt, ein Mann zu sein von Susanne von Paczensky
Eine Verwaltungsbeamtin in einer bayerischen Provinzstadt hat es verdient, in die Heldenchronik der großen Forscher und Entdecker eingetragen zu werden.
 
Der Mann ist ein Allgemeinplatz von Dagmar Ploetz
Zwei lustvoll-listige Wiener Feministinnen lasen noch einmal alle Titel, die Frauen bewegten. Ihre schwungvollen Filzstiftanstreichungen markierten die anstehende Befreiung.
 
Ein halber Sieg, und überdies vorläufig von Martin Dannecker
Die Stellungnahmen, Mitteilungen und Kampfschriften des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees der Jahre 1926-1933 zur homosexuellen Frage hat der Sexualwissenschaftler E Pfäfflin aufgestöbert.
 
Deutscher Geist, eigenständig von Stephan Reinhardt
Ein Aufklärungsbuch gegen humane Vernunft, das durch die Hintertür sich avanciert gebender Vernunftkritik die alte Herrschaft fordert. 
 
Sehr einfache Grundsätze von Leonhard Mahlein
Die Konrad Adenauer- Biographie von Peter Koch, dem ehemaligen »Stern«-Chefredakteur, aktualisiert das alte Motto: »Geld regiert die Welt«.
 
Philosophie von Reinhard Pitsch
 
Monster & Mutationen von Hannelore Heinrichs
 
Sport von Rolf Lindner