LK 6
literatur konkret Nr. 6
Die Verhurung des Gewerbes
»Die Großverlage scheinen sich endgültig mit ihrer Rolle als Altpapierhändler abgefunden zu haben«, schrieben wir in LITERATUR KONKRET 5/1980. Sie scheinen nicht, sie haben. Was Verleger einmal bedeutete: Entscheidung für ein Werk und seinen Autor, Vertrauen und Treue zu beiden, Beharrlichkeit und Bereitschaft zum Risiko - das ist perdu. Was allein zählt, sind die umgesetzten Partien, ist der rasante Abverkauf. Nichts ist so alt wie das Buch der letzten Saison. Uralt das vorgestern »neue« Engagement für die Fürsorgezöglinge und andere Sozialfälle, steinalt der gestern »neue Realismus«, alt die heute »neue Frau«, angeschimmelt bereits die Neuigkeiten vom Herbst: Aussteiger, Patrioten, Huren.
Aussteiger: Einer unserer Autoren trifft in seinem Verlag auf zwei von Kopf bis Fuß durchgestylte Frauen und fragt den Lektor, wer das sei. Die Antwort: Ach, die haben hier ein Buch über Aussteiger gemacht.
Prostituierte: Die Binsenweisheit, daß Huren, befragt nach ihrem Gewerbe, nur lügen können, weil sie die Wahrheit nicht aushielten, wird verdrängt: Die Verleger der fröhlichen Nutten-Literatur müßten sonst auf sich selbst stoßen.
Patriotismus: Die Linken, sagt Günter Grass, dürfen das Nationale nicht den Rechten überlassen, weil die sonst Furchtbares draus machen. Darf man den Rechten die Bundeswehr, das BKA, den BND, Stammheim überlassen - oder müssen wir das auch alles selber machen?
Oder sollten wir linken Autoren und Verleger, statt solcher Torschlußpanik anheimzufallen, einfach bessere Bücher machen, Bücher, die das Papier, auf dem sie gedruckt werden, auch nach den nächsten 27 Moden der Literatur-Industrie noch wert sind?
Inhalt
EDITORIAL
Anrufung meines Engels von Volker von Törne
Zwischen Kriegskrediten und Weinerlichkeit von Bernt Engelmann, Hermann Peter Piwitt, Friedrich Christian Delius, Gerd Fuchs, Christian Geissler und Michael Scharang
Umfrage: Die 68er Bewegung hat Forderungen an die Literatur gestellt. Viele fühlten sich betroffen. Wie ist dieser Impuls zum Gewinn oder Schaden der Literatur zu Buch geschlagen beziehungsweise zum Gewinn oder Schaden derer, die lesen? Es heißt, die Intellektuellen schweigen zu den aktuellen politischen Zumutungen. Stimmt das? Hat nicht auch die Literatur in ihrer spezifisch ästhetischen Form des Standhaltens dazu beigetragen, daß der Weg für die 80/81er Bewegung offenblieb?
WORTMELDUNG ZUR RÜSTUNGSDEBATTE von Friedrich Christian Delius
»Ohne Mampf kein Kampf«
Kunstbericht von Martin Walser
Geht doch nach drüben von Hermann L. Gremliza
Versuch, einen Rasen zu betreten, den zu betreten verboten ist
Der Heimkehrer von Hermann Peter Piwitt
Panische Fahrten von Günter Herburger
Sinn und Verderb der Gewerbsleserei
Die Fehlbarkeit der Päpste von Hans Christoph Buch
Poetentaler, Urkunden und Medaillen von Klaus Stiller
Literaturpreis-Verleihungen sind hierzulande Feierstunden für heimatkundlich engagierte Provinzgrößen
Literatur auf dem Strich von Ingrid Klein
Bücher aus und über das Nutten-Milieu überschwemmen den Markt
Lob den Kannibalen von Günter Herburger
Circa fünf Lesen wünsch‘ ich mir von Gerhard Hesler
Die private Aneignung des Dramas von Michael Schneider
Die Agonie des modernen Regisseur - Theaters wird staatlich subventioniert und von der Kritik einfühlsam gelobt
Die Versaftung Mitteleuropas von Gerd Fuchs
Apokalyptisches Tagebuch von Christel Dormagen
Die drohende Weltkatastrophe ist inzwischen mehrfach hochgerechnet und steht handlich sortiert in Buchhandlungen - in der Umweltecke
Weltschmerz und gesunder Appetit von Michael Schneider
Aphoristisches zur neuen Weinerlichkeit
Selbstgebackenes und Selbstgeschriebenes von Gert Mattenklott
Schreiben kann jeder, nur: Muß sich heute wirklich jeder sein eigenes Buch schreiben?
Phönixe, frisch gehäutet von Heiner Boehncke
Die Nachfrage nach echten, authentischen Erfahrungen hatte eine Buch-Inflation zur Folge - oder umgekehrt?
»Die reden vom Frieden und rüsten auf« von Dorothee Sölle, Alfred Paffenholz
Gedanken zum Frieden und zum Christentum / Ein Interview von Alfred Paffenholz
Kapitalverhältnis und die Himmelsmacht von Wolfgang Pohrt
Die bürgerlichen Emanzipationsversuche sind nur noch vierter Aufguß gegenüber einer Vergangenheit, in der es noch ein Privatleben gab
Die Massenmörder züchten Blumen von Henryk M. Broder
Eine ganz normale Karriere: Vom Medizinalrat im Warschauer Ghetto zum Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes
Berserker und Odysseus von Horst Tomayer
Ein Portrait des rechtspolitischen Sprechers der CDU/CSU Carl-Dieter Spranger
Bob’s Hope Show von Günter Amendt, Uwe Heidorn
KONKRET veröffentlicht einen weiteren Auszug aus dem Briefwechsel zwischen dem Dylan-Experten Uwe H. und Günter A., zuständig für alle Fragen der Dylan Deutung:
Authentisch, ehrlich, unmittelbar von Roman Ritter
Zeilenbruch und Wortsalat - eine Polemik gegen die Laberlyrik
Eine Uhr in Japan von Günter Herburger
Neurose und Dichtung von Peter Dahl
Gemeinsam war den Zwangsschreibern Karl May und Hans Fallada das Schreiben als Lebensbewältigung und Droge zugleich
Das geschmähte Werk von Karl Pawek
Was hindert am Lesen der dreibändigen »Ästhetik des Widerstands« inklusive Notizbücher?
Wir lesen Peter Weiss von Hannelore May
Eine Gewerkschaftsgruppe liest und lernt gemeinsam durch die »Ästhetik des Widerstands«
Die Wurzeln unserer Depression von Lothar Baier
Michael Schneider: »Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder Die melancholische Linke. Aspekte des Kulturzerfalls in den siebziger Jahren«, Sammlung Luchterhand, 16,80 Mark
Astrologische Hellsichtigkeit von Annette Garbrecht
Doris Lessing: »Anweisung für einen Abstieg in die Hölle«, aus dem Englischen von Iris Wagner, S. Fischer Verlag, 28 Mark
Kleinbürgerliches Trauerspiel von Dagmar Ploetz
Gabriel Garcia Márquez: »Chronik eines angekündigten Todes«, Deutsch von Kurt Meyer Clason, Kiepenheuer & Witsch, 19,80 Mark
Tote drängen ins Buch von Till Bruttel, Chup Freimert
Nico Rost: »Goethe in Dachau«, Konkret Literatur Verlag, circa 30 Mark
Eine deutsche Familie von Stephan Reinhardt
Josef Ippers: »Killians Zeiten«, Hoffmann & Campe, 36 Mark
Traurig, leer und explodierend von Paul Kersten
Urs Jaeggi: »Grundrisse«, Luchterhand, 32 Mark
Keine Chance der Liebe von Regine Walter-Lehmann
Ludwig Fels: »Ein Unding der Liebe«, Luchterhand, 32 Mark
Maßstäbe für das Medium Buch von Ulrich Krempel
Rezension
Ein Nashorn erweist sich als wendig von Friedemann Pfäfflin
Heinar Kipphardt: »Traumprotokolle«, AutorenEdition, ca. 24 Mark
Das ist unsere Sexualität von Lottemi Doormann
Karin -Egidi / Gislind Bürger: »Das Gefühl der Befriedigung - Was Sexualforscher nicht erfassen können, sagen die Frauen selbst«, rororo Frauen aktuell, 5,80 MarkAnja Meulenbelt: »Für uns selbst - Körper und Sexualität aus der Sicht von Frauen«, Verlag Frauenoffensive, 19,80 Mark
Träumende Elise. Liebende Elise. Törichte Elise von Gabriele Kreis
Sibylle Knauss: »Ach Elise oder Lieben ist ein einsames Geschäft«, Hoffmann & Campe, 24 Mark
Das Privileg der Rothaarigen von Volker Lilienthal
Noras Töchter. Neun Erzählungen. Eine internationale Anthologie. 256 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln, ca. 25 Mark
Gramscis erste Überfahrt (1911) von Friedrich Christian Delius
Karriere oder Resignation von Hilke Holinka
Cheryl Benard / Edit Schlaffer: »Liebesgeschichten aus dem Patriarchat. Von der übermäßigen Bereitschaft der Frauen, sich mit dem Vorhandenen zu arrangieren«, Rowohlt, 19,80 Mark
Das Beste im Menschen wird verfolgt von Henner Voss
Marianne Herzog: »Nicht den Hunger verlieren«, Rotbuch, 1980, 12 Mark
Die Autonomie des Militärs von Udo Marquardt
Per Wahlöö: »Die Generale«, rororo 2569, 6,80 Mark
»Ich zielte auf die Herzen der Menschen und traf ihr Mägen« von Gisela Elsner
Upton Sinclair: »Der Dschungel«, März-Verlag, 1980, 20 Mark
Von »Tunix« war nie die Rede von Gerd Fuchs
Peter Dahl / Rüdiger Kremer (Hg.): »Lebensgeschichten«, Lamuv Verlag, 19,80 Mark
Petra Annababi von Werner Heine
Clarie Sterling: Das internationale Terror-Netz, Scherz-Verlag, 29,80 Mark
KONKRET Literaturtips