LK 3

literatur konkret Nr. 3

Auf die großen Entwürfe (z.B. in Editorials) folgt die tägliche Kleinarbeit. Manches reduziert sich dabei auf Unscheinbarkeiten, vieles stößt vorzeitig an Grenzen, die in ihrer brutalen Banalität zumindest hinderlich sind.  
Da hält die Freiheit auf unserem Titelbild - auch wieder so eine Idee - demonstrativ das Muster eines Buches in ihrer Hand, das für mich die wichtigste Neuerscheinung dieses Herbstes ist: Den zweiten Band von Peter Weiss' epochaler »Ästhetik des Widerstands«. Doch im Heft fehlt die Besprechung.  
 
Bereits im Juni und danach beinahe wöchentlich haben wir den Suhrkamp Verlag um Druckfahnen gebeten. Vergebens. Man versicherte uns, es gäbe keine Fahnen, vergaß allerdings hinzuzufügen: für Literatur Konkret. Denn während wir auf ein Vorausexemplar warteten bis weit über den Redaktionsschluß hinaus, konnte z.B. der Spiegel-Rezensent angeblich nicht vorhandene Fahnen bereits lesen. Offensichtlich gilt im Hause Suhrkamp: Wer den Unseld nicht ehrt, ist der Fahnen nicht wert... 
 
Ein anderer Verleger war zumindest offener. Er verbarg seine Abneigung erst gar nicht hinter Vertröstungen, sondern erklärte schlicht, nie wieder in einer Zeitschrift zu inserieren, die dieser Pawek macht.  
Nun können wir auf den einen oder anderen Inserenten durchaus verzichten, doch nicht auf Anzeigen überhaupt. Einige Leser rügten den Fragebogen in Heft II als konsumorientierte Scheiße. Sie haben - zum Teil - recht. Ihre Konsumgewohnheiten interessierten uns aus dem einzigen Grund, Anzeigenkunden zu gewinnen. Denn nur über Anzeigen, nicht über den Verkaufserlös von DM 2,60 pro Heft (den Rest erhalten die Händler) kann diese und jede andere nicht-subventionierte Zeitschrift finanziert werden.  
 
Im übrigen erwies sich der Konsum unserer Leser als nicht sonderlich beeindruckend: 46070 sind Nichtraucher, 60070 trinken am liebsten Tee. Neben Reisen und Schallplatten scheinen Sie sich fast nur für Bücher zu interessieren: 44070 von Ihnen besitzen mehr als 500 Exemplare, und im Durchschnitt kaufen Sie pro Jahr 40 Bücher hinzu.  
Ein Versuch, Ihre Konsumgewohnheiten zu beeinflussen, beginnt in dieser Ausgabe: Erstmals in der Geschichte der Publizistik liegt jedem der 75.000 Exemplare einer Zeitschrift eine Originalgrafik bei. HAP Grieshaber fertigte für Literatur Konkret einen Holzschnitt an 'Zum Ende der Buchdrucker-Kunst' (vgl. Litko II), nannte unser Vorhaben »eine historische Tat« und drängte zur Eile: »Einen solchen Abgesang sollten wir uns nicht entgehen lassen ehe es morgen schon zu spät dazu ist.« Die technische Realisierung erwies sich bereits heute als ungemein kompliziert, nachzulesen auf S. 35. 
 
Wichtig und folgenreich für die künftige redaktionelle Arbeit waren die Ergebnisse des ersten, interesseorientierten Teils des Fragebogens aus Heft II. Ihr Bildungsstand ist demnach beeindruckend. Sie besuch(t)en eine Hochschule (43%) oder haben Abitur (30%). Der geringe Anteil an Volksschülern (8,2%) ist erklärbar - wir wollen uns aber nicht damit abfinden -daß Sie allerdings fast alle männlichen Geschlechts sind (77,4%), ist verwunderlich. Immerhin sind 32% aller Autoren an diesem Heft Frauen.  
 
Zwischen 19 und 29 Jahre alt (68%), unverheiratet (73%), wählen Sie links: Umweltschutzparteien 33,2% (inzwischen mag da manche Euphorie verflogen sein), SPD 31,1%, DKP 14,9%. Sie lesen täglich die FR (37,5%), die Süddeutsche (12,9%) oder die UZ (9,8%; die Differenz Wähler-Leser = 5% sollte die Macher dieser 'Tageszeitung für die arbeitende Bevölkerung' nachdenklich stimmen).  
 
Sie kaufen Literatur Konkret, weil Sie Informationen über Bücher suchen (62%) und mehr über den Literaturbetrieb erfahren wollen (50%). Mit dem politischen Spektrum dieser Zeitschrift sind Sie zufrieden (77,6%), wünschen sich aber mehr Besprechungen politiktheoretischer Neuerscheinungen (34%). Die Beiträge finden Sie überwiegend verständlich geschrieben, sie erscheinen Ihnen eher zu leicht (12,2%) als zu schwierig (7,1%). Ihre Vorzugsautoren schließlich sind Böll (bei 1.856 Einsendungen über 200 Nennungen), Wallraff, Fried und Zahl (über 100), Engelmann, Walser, Andersch, Biermann, Enzensberger, Zwerenz, P. Schneider und Max Frisch (über 50).  
Zusammengefaßt: Sie sind ein intelligenter, sympathischer, engagierter Nonkonformist. Ich hoffe, Sie haben über uns, die Macher dieser Zeitschrift, keine schlechtere Meinung. 

Inhalt

Editorial von Karl Pawek

Literatur in der Depression von Michael Scharang
Michael Scharang will nicht warten, bis der Kopf vom Schreibtisch rollt
 
Die betonierte Fantasie von Erika Runge
Erika Runge beschreibt ihre Schwierigkeiten, Gefühle einzubringen in die Arbeit. Inzwischen scheint ihr, als nähme sie ihre »Wehwehchen« übermäßig wichtig. Sie schlägt daher vor, Anfang und Schluß des Artikels zu überlesen und den Rest als Diskussionsbeitrag zum Thema »Gefühl« zu verstehen.
 
Philosophie für Nichtfachleute von Irmtraud Morgner
Rede über Jakob Böhme, eine personifizierte Pferdezucht und die Literatur, gehalten von Irmtraud Morgner auf dem 8. Schriftstellerkongreß in Berlin (DDR)
 
Utopie und Widerstand von Peter-Paul Zahl
Über den konsequenten Lebenslauf der Revolutionärin Ilona Duczynska
 
Tabu Biermann von Hermann L. Gremliza
Wo bleibt die Kritik der Genossen, wenn der preußische Ikarus aller Welts Daedalus spielen will?
 
Gebenedeite Gattinnen von Ingrid Kolb
Der Ruhm gehört den Dichterfürsten. Nach dem Verdienst der Mägde und ihrem Verbleib forschte Ingrid Kolb
 
Ein radikaler Rebell von Monika Sperr
Hans Frick, 48, unbekannt. Seine Bücher verdienen Aufmerksamkeit.
 
Verlage Verleger Verlegtes
 
Bibliothek der verbrannten Bücher
 
Nicht umkehrbar von Erich Fried
 
Für MRR – in Klassen-Liebe von Hartmut Schulze
Der Kritiker wurde kritisiert, und wieder gab es Krach. Warum Marcel Reich-Ranicki immer noch ein Thema ist, erklärt Hartmut Schulze
 
Herr Heine... von Georg Biron
Heinrich Heine erwägt seine Auswanderung. Exklusiv für Literatur Konkret sprach mit dem Dichter Georg Biron. (Originalzitate)
 
»Warum sind Sie nur Leser? Schreiben Sie doch!«
Diese Aufforderung habe ich leichtfertig gestellt. Mit den 54 eingesandten Beiträgen hätte ich dieses Heft füllen können. Die Auswahl der hier abgedruckten Stellungnahmen wurde mehr durch deren Umfang als durch ihre Qualität bestimmt: Zehnseitige Manuskripte können wir - zumindest im Rahmen dieser Zeitschrift - nicht veröffentlichen. Wir sollten über einen anderen Rahmen nachdenken.Karl W. Pawek
 
Victor Serge und die Rose zu Füßen der Guillotine von Helga M. Novak
Rezension
 
Sinnlichkeit statt Innerlichkeit von Erich Fried
Rezension
 
Staatsabträgliche Träume eines Rechtsanwalts von Gisela Elsner
Rezension
 
Angelsbrucker Notizen von Heinar Kipphardt
BESICHTIGUNG (BUCHENWALD)
 
Frauenleben in Deutschland von Birgit Pauch
Rezension
 
LITERATUR von Erich Fried
 
Alte Wut im Bauch und Kopf von Angelika Mechtel
Rezension
 
Helden kennen keine Müdigkeit von Christoph Buchwald
Rezension
 
DIE MASCHEN DES GESETZES DER GRAVITATION von Oskar Cöster
 
Plagiat an der Wirklichkeit von Jakob Moneta
Rezension
 
Forum kritischer Intelligenz
 
Spott - und andere Stücke
 
Bourgeoisie, Wissenschaft, Kunst: In die Rettungsboote... von Ursula Krechel
Rezension
 
...Vor uns die Sintflut von Yaak Karsunke
Rezension
 
ANALYSE EINER GEDICHTLANDSCHAFT von Erich Fried
 
Sowjet – Alltag
Belletristik:
 
Drei Arten drei Wirklichkeiten zu beschreiben von Oskar Cöster
Rezensionen
 
Jenseits unserer Grenzen
Rezensionen
 
Geschichte der Arbeiterbewegung als Selbstbedienungsladen von Jörg Sandkühler
Rezensionen
 
TABU von Erich Fried
 
Selbstverwirklichung. der Architekten als Denkmalbauer von Chup Friemert
Rezensionen
 
Kunst und Alltag von Jürgen Stahr
Rezension
 
Radikal und kritisch von Karl Pawek
Rezension
 
Mutterliebe
Rezension
 
Vorknast von Karl Pawek
Rezension
 
Kindheit auf sardisch von Karl Pawek
Rezension
 
Ein Chilene in Berlin glaubt an die Zukunft von Max von der Grün
Rezensionen
 
Kein Wegs zurück von Lottemi Doormann
Rezension
 
Ganz schön objektiv
Rezension
 
Nichts Neues an der Sexfront von Günter Amendt
Rezensionen
 
Jugend oder Klasse?
Rezension
 
Über den Leser - soviel man in einem Festzelt sagen soll von Martin Walser
 
Was geht mich das noch an von Andreas Reimann
Respektlose Anmerkungen des DDR-Lyrikers Andreas Reimann zu neuen Gedichtbänden aus der BRD
 
Träume gegen den Literaturbetrieb von Ulla Hahn
Praxis und Möglichkeit des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt untersucht Ulla Hahn
 
Die Kerhseite von Malte Dahrendorf
Über die Diskrepanz zwischen Kinderliteratur und Kinderwirklichkeit in der BRD
 
Der rote Elefant empfiehlt
 
Kommentierte Bibliografie