Knastreflexe

Oliver Estay Arndt über Nancy Faesers Angriff auf das Asylrecht

Die Demontage des europäischen Asylrechts geht in die nächste Runde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will, dass Schutzsuchende künftig ihre Asylverfahren entweder in Drittstaaten oder unter dem juristischen Konstrukt der »Fiktion der Nichteinreise« unmittelbar an den EU-Außengrenzen durchlaufen. Faesers Vorstoß zu einem »neuen europäischen Asylsystem« ist wenig überraschend, reiht er sich doch konsequent in die Externalisierungstendenzen der jüngeren EU-Grenzpolitik ein. Zwecks Umsetzung holt Faeser sogar Horst Seehofers alten »Ankerzentren«-Plan aus dem Arsenal der antimigrantischen Schändlichkeiten.

Dabei steht die Errichtung von gefängnisähnlichen Isolationslagern entlang der europäischen Festungsmauern in offensichtlichem Widerspruch zu einem Koalitionsvertrag, der sich zu einer »humanen Migrationspolitik« bekennt. Alarmiert durch die steigenden Zahlen von Schutzsuchenden aus Syrien und Afghanistan greift die gelbgrünrote Abschiebekoalition zur Lagerlösung. Es ist dies ein sehr deutscher Reflex, der aus der nationalistischen Ideologie einer zu schützenden völkisch-sozialen Ordnung oder Einheit stammt. Deren drohender Verlust wird quer durch die bürgerlichen Parteien herbeischwadroniert. Wie die Landes- und Bundesregenten auf dem am 10. Mai abgehaltenen »Flüchtlingsgipfel« nicht müde wurden zu betonen, bewegen sich die Kommunen in Deutschland derzeit an den Grenzen ihrer »Aufnahme- und Belastungskapazitäten«. Vor dem Hintergrund eines perfiden Systems, das geflüchteten Menschen zunächst einen Zugang zum Arbeitsmarkt rechtlich verwehrt, um in einem nächsten Schritt auf eine »Finanzierungslücke« in den Asylbewerberleistungen zu verweisen, lässt sich schließlich eine rigide gesamteuropäische Lagerpolitik organisieren, an deren Notwendigkeit kaum jemand noch zu zweifeln scheint.

Unklar bleibt, wie das Recht auf ein ordentliches Asylverfahren unter den Bedingungen einer Lagerhaft überhaupt noch beansprucht werden kann. Fernab jeder Fiktion bedeutet Faesers Plan also vor allem, dass die europäische Außengrenze zu einem Knast für Migrantinnen und Migranten werden soll, wo sie nicht bereits deren Grab ist.