• Heft 12/22

Die in den letzten zwei Jahren oft gestellte Frage, ob unsere Gesellschaft gespalten sei, in zwei Teile zerfallen, unüberbrückbar auseinandergedriftet, möchte ich an dieser Stelle mit einem klaren Ja beantworten.

Doch nicht die Gegner oder Befürworter von Spritzen und Masken, nicht die Ablehner oder Gutfinder des Zuzugs von Menschen aus anderen Teilen der Welt haben durch ihr starrköpfiges Einnehmen unterschiedlicher Standpunkte den Keil in unsere Gesellschaft gerammt. Schuld ist nicht allein der Bürger. Verantwortung für die Verwerfungen in unserem Land tragen auch jene Designer eines bestimmten Produkts, die mit Macht ein übertriebenes Maß an Feelgood in heimische Küchen und Wohnzimmer pressen wollen.

Ich rede vom »Wandtattoo«, einem großflächig aufklebbaren Sinnspruch, der thematisch variieren kann, allerdings hauptsächlich einem Zweck dient: der mantraartigen Wiederholung der Aussage: »Happy Life durch Hauptsache ich!« Wer sich Sprüche wie »Einfach mal dankbar sein … für jedes Problem, das du nicht hast« über die Couch pappt und jeden Tag davor oder darunter sitzt, wird irgendwann unangemessen zufrieden sein mit seinem persönlichen Hier und Jetzt und den Fokus auf Stressvermeidung legen.

Statt sich wie weniger Harmoniebegabte vor kahlen Wänden dem ganzen Ungemach unseres Daseins auszusetzen, stellt die Gemütlichkeitsfraktion ihre sogenannte Tiefenentspanntheit ganz einfach durch das Aufkleben weiterer Tattoos in Küche und Esszimmer zur Schau. Die Rauhfaser wird dann durch ein mediterran plänkelndes »Latte Macchiato, Espresso, Café au lait« betont, optisch keck unterbrochen von stilisierten dampfenden Tassen, denn so fühlt sich der Eingeigelte auf der sicheren Seite, wähnt er sich doch diesseits des Muckefuckgürtels.

Mein Vorschlag, um die zerbröckelnde Gesellschaft wieder zu kitten, wäre ja die Aufnahme neuer Sprüche ins Repertoire, z. B. »Hurraaaa, mRNA!« oder »Heute bleibe ich zu Hause, Montagsdemo hat mal Pause«. Aber die einschlägig Unentspannten werden sie nicht kaufen.

Rebecca Spilker