Truffaut in Bad Salzuflen

Es gibt zwar einen Literaturnobelpreisträger namens Bob Dylan, aber trotzdem hält man als Fan von Bernd Begemann dessen »Ausgewählte Songtexte« in der Hand (Gib mir eine zwölfte Chance, Ventil Verlag) und fragt sich: Braucht es das? Derselbe Fan liest sich trotzdem gleich fest, denn es sind gute Texte, und Begemanns Werk ist nach 35 Jahren riesig. Der eben 60jährige ist laut Selbstauskunft »elektrischer Liedermacher«, und nun also hundert »Expeditionen ins Bekannte« samt Kommentar: »Als ich einen kleinen Schmutzfleck vom Außenspiegel meines Wagens entfernen wollte, stürmte ihr Vater wild gestikulierend aus dem Haus. ›Nicht das Auto putzen! Es ist Sonntag!‹ Hier ist sie also groß geworden, dachte ich. Meine Bewunderung wuchs.« Denn hier ist Begemann gleichfalls groß geworden, und der Fan ja auch, wie es Begemann um die ewige Unmöglichkeit geht, jener ambivalenten, nämlich unwiderleglich heimatlichen Mittelstandshölle zu entkommen, wie sie sich in »Bad Salzuflen weltweit« oder der »Deutschen Hymne (ohne Refrain)« ausgemalt findet. Über deren letzte Zeile: »Ich will dieses Land verstehen« soll sich Begemann mit Jochen Distelmeyer verkracht haben, der denn auch die Hauptrolle in »Rambo 3 mit Jochen Distelmeyer im Autokino« spielt: »Jochen sagte: ›Bernd, du betreibst Betrug / du bist einfach nicht radikal genug!‹ / Ich sagte: ›Jochen, sieh es mal so: / Du bist Godard, und ich bin Truffaut.‹«

Und Dylan halt auch, jedenfalls meiner, woran nichts ändert, dass der Wahl-Hamburger längst ein Linksliberaler ist. »Gemäßigt ist das neue radikal« heißt der Text dazu, laut Kommentar nicht ironisch, sondern Agent eines »progressiven Zentrismus«: »Alle bleibenden Verbesserungen der Geschichte passierten durch umsichtiges Voranschreiten, nicht dadurch, dass ein Drittel der Bevölkerung weggesperrt und hingerichtet wurde.« Das muss, der Übertreibung unbeschadet, der reale Kommunismus sich zwar vorhalten lassen; aber leider (und wirklich: leider!) ist Bad Salzuflen weltweit ein ökonomischer Widerspruch in sich.

Stefan Gärtner