Master Prepper

Wer hat dem Bundeswehr-Offizier Franco Albrecht seine Uniform weggenommen? Von Florian Sendtner

Wäre Anders Breivik mit dem 1500-seitigen rassistischen Hasspamphlet, das er kurz vor seinem Massenmord in Oslo und Utøya am 22. Juli 2011 verbreitete, an einer deutschen Bundeswehrhochschule habilitiert worden? Der Schluss liegt nahe, wenn man die 2013 vorgelegte Masterarbeit des Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht zum Vergleich danebenlegt: einen offensichtlich von Breivik inspirierten »radikalnationalistischen, rassistischen Appell«, so ein Gutachten. Eingereicht an der französischen Militärakademie Saint-Cyr, wo das von einer jüdischen Weltverschwörung raunende Machwerk rundweg abgelehnt wurde – die deutschen Vorgesetzten Albrechts zogen es indes als möglicherweise missverständlich, aber keineswegs böse gemeint aus dem Verkehr. Einem jungen, aufstrebenden Nationalsozialisten in Uniform muss man doch eine zweite Chance geben! Albrecht durfte eine neue Masterarbeit vorlegen und ward mit weißer Weste Berufsoffizier.

Die weiße Weste namens Franco Albrecht absolvierte eine Einzelkämpferausbildung in Hammelburg und wurde zum Oberleutnant befördert, stationiert in der jeglichen Nationalismus’ unverdächtigen Deutsch-Französischen Brigade im elsässischen Illkirch-Graffenstaden. Von dort aus unternahm der Hitlerverehrer mit Pferdeschwanz im Januar 2017 einen Ausflug nach Wien zum Ball der Offiziere. Tags darauf, als man den Restalkohol wieder auffrischen will, geht Albrecht mal kurz austreten ins Gebüsch, und was findet er da, eiderdaus und potzblitz? Eine französische Handfeuerwaffe! Die er selbstverständlich einsteckt, augenblicklich wieder vergisst und am Wiener Flughafen, wo sie ihm siedend heiß wieder einfällt, aus Angst vor Scherereien in der Toilette versteckt. Hat je ein faschistischer Putschist mit einer überzeugenderen Räuberpistole aufgewartet? Als Albrecht die Pistole aus der Flughafentoilette holen will, wird er dank einer aufmerksamen (syrischen?) Putzfrau festgenommen. Seine Fingerabdrücke sind registriert. Nicht unter Franco Albrecht aus Offenbach, sondern unter David Benjamin aus Damaskus. Albrecht alias Benjamin hatte das im Schilde, was er in der Einzeltäter-, pardon: Einzelkämpferausbildung gelernt hat: sich in den feindlichen Reihen durchzuschlagen. In dem Fall als syrischer Flüchtling bzw. französisch parlierender Christ, als der er sich mittels dezenten Blackfacings ausgegeben hatte und anerkannt worden war. Um unter dieser falschen Identität ein politisches Attentat zu begehen. In seinem Fadenkreuz, unter anderen: Heiko Maas, Claudia Roth, Anetta Kahane. Die Fingerabdrücke an der zurückgelassenen Tatwaffe hätten zu dem fingierten syrischen Flüchtling David Benjamin geführt. Der nicht dingfest zu machen gewesen wäre, weil es ihn ja nicht gab. Ein flüchtiger syrischer Flüchtling als Ministermörder, die Republik in Panik und Hysterie. Und dann, man schreibt das Jahr 2017, im Herbst Bundestagswahlen. Das war es, was Franco Albrecht sehen wollte: Ob unter solchen Voraussetzungen nicht nur Martin Schulz, sondern auch Angela Merkel verliert. Und Alice Weidel ins Kanzleramt einzieht.

Ein ganzes Polizei- und Bundeswehrheer von Preppern und anderen Nazis steht, hochgerüstet, bereit für den Tag X. Nur der eine Fall des mittlerweile 33-jährigen Albrecht alias Benjamin wurde, kaum vier Jahre nach seiner ersten Festnahme, vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt verhandelt. Mitte Juli wurde sie nun sang- und klanglos über die Bühne gebracht, die Verurteilung des Oberleutnants Franco Albrecht zu fünfeinhalb Jahren Haft. Das Frankfurter OLG, das erst vom Bundesgerichtshof dazu verdonnert werden musste, gegen den Rechtsextremisten zu verhandeln, sah es, als es gar nicht mehr anders ging, als erwiesen an, dass der aufstrebende Offizier eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant und zu diesem Zweck ein ansehnliches Arsenal von Waffen, Kriegswaffen, Munition und Sprengstoff gehortet habe. Die Beweislage war erdrückend: nationalsozialistische Selbstbekenntnisse en masse, Attentatspläne fast schon en détail, und eine beeindruckende Vernetzung in der Truppe der Prepper, Uniter und Hannibal-Verschworenen.

Unzählige bei Franco Albrecht beschlagnahmte Sprachmemos hören sich an wie Mikrophonproben, in denen der Ersatzführer versucht, seine Volksgenossen aufzurütteln: »Gewalt ist eine Option, Gewalt muss eine Option sein! Scheuen wir uns nicht zu töten! Warten Sie nicht länger, warten wir nicht länger!« – Ein Bundeswehroffizier, der von der jüdischen Weltverschwörung deliriert, den Außenminister erschießen will (Moment mal, ist der überhaupt Jude? Egal!) und der allgemein vom Töten träumt – das wird natürlich als eher unpassend empfunden in den glorreichen Zeitenwendezeiten, in denen das deutsche Militär, allseits beklatscht, endlich wieder zu seinem Recht kommt. Die Nation reagierte auf den »Fall Franco A.« (seit wann werden Terroristennachnamen abgekürzt?) dementsprechend desinteressiert. Niemand stellte die Frage: Warum werden Flüchtlingen seit Jahr und Tag wie Verbrechern pauschal die Fingerabdrücke genommen, Soldaten dagegen nicht? Der »Kontrollverlust«, den die »Zeit« 2016 an die Wand malte, hat tatsächlich stattgefunden. Nur nicht an den Außengrenzen gegenüber den Flüchtlingen, sondern innerhalb von Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten gegenüber militanten Rechtsextremisten, die sich, bezahlt von der Republik, gegen die Republik zusammenrotten. Die seit Jahren unablässig durch die Medien gejagte Mär von der angeblich signifikant angestiegenen Zahl der tätlichen Angriffe auf Polizisten dient erkennbar der Ablenkung von der wirklichen Gefahr, die von Polizisten und Soldaten ausgeht.

Wobei Franco Albrecht während des ganzen, fast 14 Monate dauernden Prozesses in Frankfurt nicht als Soldat wahrgenommen wurde, geschweige denn als Offizier. Man hatte ihm das Tragen der Uniform verboten. Vor Gericht stand ein locker und leger gekleideter Hipster mit rotbraunem Vollbart und Pferdeschwanz. Was sollte der bitteschön mit »unserer Bundeswehr« zu tun haben?

In der guten, alten Zeit, nach der sich Franco Albrecht so sehnt und die er herbeischießen und -bomben wollte, hätte er für das, was das Frankfurter OLG als erwiesen ansieht, wegen Hochverrats vor Gericht gestanden. Selbstverständlich in seiner Offiziersuniform. Der Prozess hätte nicht über ein Jahr gedauert, sondern einen halben Tag. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wären ihm die Schulterklappen abgerissen worden. Und dann hätte es geheißen: Abführen zur Hinrichtung!

Florian Sendtner schrieb in 8/22 über den digitalen Erfolg des deutschen Panzermuseums