Rightseeing

Mit der FPÖ gegen die »Corona-Diktatur«. Von Erwin Riess

Anfang Januar meldeten FPÖ-Kader, Parteigänger der Identitären, gerichtsnotorische Altnazis, Neonazis (die in Österreich auch schon an der Pensionsgrenze kratzen), Covid-Leugner und Querdenker in mehreren Dutzend Städten Österreichs Demonstrationen gegen die »Corona-Diktatur« der Regierung an. Im nachhinein stellte sich heraus, dass viele Anmelder am selben Tag gleich mehrere Demonstrationen im ganzen Land bei den Behörden kundig machten. Die Organisatoren der flächendeckenden Anmeldungen konnten auf ein engmaschiges Netz aus FPÖ-Parteimitgliedern, Funktionären in Gemeinderäten, Vorfeldorganisationen und Sympathisanten zurückgreifen.

Das Ausmaß der Demonstrationen überraschte die FPÖ; mit so viel Zuspruch hatten nicht einmal die größten Optimisten im rechten Lager gerechnet. Selbst in Städten, in denen seit Jahrzehnten keine Demonstration stattgefunden hatte, sammelten sich mehrere Hundert »Freiheitskämpfer und -kämpferinnen« und schwangen Reden, in denen der verdichtete Politmüll von Reichsbürgern, Querdenkern und Provinznazis über die Plätze schallte. Und in Wien kam es zu einer der größten Demonstrationen der letzten Zeit. Auch aus den Bundesländern reisten die Verteidiger von Freiheit & Abendland an, sie kamen in Bussen, die der Partei nahestehenden Busunternehmern gehörten. Zur Wiener Kundgebung kamen trotz unwirtlicher Wetterbedingungen mehr als die von der Polizei angegebenen zehntausend Teilnehmer. Abstands- und Maskenregelungen wurden ignoriert, die Polizei erwies sich als unfähig und unwillig, die Einhaltung der im Lockdown vorgeschriebenen Maßnahmen durchzusetzen.

Der Erfolg machte die Organisatoren kühn, sie planten eine weitere Großdemonstration in Wien. Vierzehn Personen aus dem rechten Milieu meldeten Demos in der Innenstadt an. Tatsächlich zogen im Hintergrund abermals FPÖ-Kader die Fäden. Die polizeiliche Blamage während der ersten Demonstration vor Augen, beschloss Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl, die Demonstrationen zu verbieten. Begründung: Bei der vorausgesagten Anzahl der Teilnehmer/innen sei es wahrscheinlich, dass es infolge der zu erwartenden Missachtung der Vorschriften zu einer Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung kommen werde. Das Epidemiegesetz biete in diesem Fall ausreichende Grundlagen für ein Verbot der Veranstaltung.

Die FPÖ tobte, Ex-Innenminister und Fraktionschef Herbert Kickl sah Österreich auf dem Weg in eine Diktatur, die freiheitsliebende Menschen als erste treffe, und rief den demokratiepolitischen Notstand aus. Gleichzeitig meldete er eine Parteiveranstaltung der FPÖ an, bei der er – »es ist mir ein inneres Bedürfnis« – das Wort ergreifen werde. Als auch diese Veranstaltung verboten wurde, fühlte er sich in die Zeiten faschistischer Diktaturen versetzt. Den Vogel schossen Demonstranten ab, die sich den Davidstern an die Anoraks hefteten und Teil eines ausgedehnten »Spaziergangs« von Zehntausenden Regierungsgegnern auf der Wiener Ringstraße waren. Wie Schäferhunde trabten Polizisten neben den Demonstranten her und beschützten sie vor den Schmährufen kleiner linker Gruppen.

So geriet eine verbotene Massenveranstaltung zu einem rechten Volksfest. Journalisten wurden beschimpft, bespuckt, getreten, mit Bierdosen beworfen und an der Arbeit gehindert. Manche packten aus Angst um Leib und Kamera ihren Presseausweis weg und flüchteten.

Als Rechtfertigung dafür, dass die Wiener Polizei das Gewaltmonopol des Staates an die FPÖ und ihr Umfeld abgetreten hatte, verwendete Polizeipräsident Pürstl den Begriff der »Verhältnismäßigkeit«. Es sei eine Frage der »Verhältnismäßigkeit« gewesen, die illegalen Demonstranten nicht zu stören, andernfalls hätte die Gefahr bestanden, dass die Demonstration in gewalttätige Auseinandersetzungen mündete. Auch das Herausfischen rechtsradikaler und identitärer Rädelsführer sei als nicht »verhältnismäßig« eingeschätzt worden.

Die Kapitulation der Wiener Polizei vor den Rechten kommt nicht von ungefähr. Personalvertretungswahlen belegen seit vielen Jahren, dass rechte und autoritäre Denkstrukturen in Polizei- und Geheimdienstkadern ideal aufgehoben sind. Und bei den Wiener Gemeinderatswahlen vom vergangenen Herbst, die mit massiven Stimmenverlusten der FPÖ infolge des Ibiza-Skandals endeten, blieben die Freiheitlichen in jenen Vierteln, in denen viele Polizisten wohnen, stabil. In manchen erreichten sie sogar Zuwächse.

Was »Verhältnismäßigkeit« in den Augen der Wiener Polizei tatsächlich bedeutet, hatte sich wenige Tage vor dem »FPÖ-Spaziergang« gezeigt, als ein paar Dutzend Schüler/innen und ihre Eltern versuchten, die Abschiebung von zwei Familien nach Armenien und Georgien zu verhindern. Die Aktion wurde um drei Uhr morgens durchgeführt, Beamte von Spezialtruppen samt Hundestaffel waren ebenso vor Ort wie 300 Polizisten und Polizistinnen. Eines der Mädchen war in Österreich geboren und aufgewachsen und beherrscht die georgische Sprache nicht. Beide Gymnasiastinnen mussten ihren abgeschobenen Eltern folgen. Das Kindswohl, zu dessen Schutz sich Österreich völkerrechtlich verpflichtet hat, war keinen Pfifferling wert.

Innenminister Karl Nehammer begründete das martialische Vorgehen der Sicherheitskräfte mit dem Schutz des Rechtsstaats. Vor Corona-Nazis kuschen und zwölfjährige Mädchen mit Polizeigewalt nächtens aus Österreich hinauswerfen – diese Art von Verhältnismäßigkeit war für viele Mitschüler/innen der verzweifelten Mädchen ein Schnellkursus in Demokratie & Rechtsstaat, Stand 2021.

Während des »FPÖ-Spaziergangs« auf der Ringstraße, bei dem auch drei prominente FPÖ-Parlamentarier – die Ärztin und Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch; Petra Steger, Tochter des FPÖ-Veteranen Norbert Steger, und Christan Hafenecker, Mitglied der Burschenschaft Nibelungia zu Wien – selbstverständlich ohne Maske teilnahmen, versuchten Teile des rechten Mobs, den Aufgang zum Parlament zu stürmen. Auch grobe politische Verwerfungen haben in Österreich operettenhafte Züge: Die Parlamentsstürmer hatten nicht mitbekommen, dass das Gebäude seit geraumer Zeit grundrenoviert wird – der Nationalrat tritt in der Hofburg zusammen. Während anderswo Kapitol und Reichstag gestürmt werden, erobern die Rechten in Österreich eine Baustelle.

Erwin Riess schrieb in konkret 1/21 über einen islamistischen Anschlag in Wien