VON konkret

Eines ist sicher: Es wird wieder mehr gehustet werden, und im feuchten Auswurf wird das ein oder andere Virus mitfliegen. Sicher ist auch, dass es nicht mehr zu Maßnahmen kommen wird, die dem Kapital an die Dividende gehen, und dass daher die Forderung nach einer Solidarität der Alten mit den Jungen, die nichts anderes bedeutet, als dass Opa sich mit dem Sterben nicht so anstellen solle, wenn der Job der Enkelin auf dem Spiel stehe, die öffentliche Rede bestimmen wird. Noch ehe es richtig losgegangen ist, läuft sich die »Welt« warm: In Deutschland sei nicht »der Schutz der Gesundheit das höchste Gut …, sondern der Geist der Freiheit«. Und der besagt bekanntermaßen, dass man sich weder das Rasen noch das Rumrotzen wegen ein paar Kindern, die nicht schnell genug von der Straße waren, oder Rentnern, die schwach auf der Brust sind, verderben lässt. Wie eine linke Position zu den Corona-Maßnahmen aussieht, die weder staatstragend ist, noch in den Querfrontgesang der Hygiene-Demonstrationen einstimmt, hat Thomas Ebermann unter dem Titel »Normalität – eine trostlose Hoffnung« bei einem Vortrag am 18. September 2020 in München gezeigt, den Sie über die konkret-Website in der Rubrik »Aktuelles« hören können.

 

Am 30. September 2020 erreicht die Redaktion ein Leserbrief aus einer Vergangenheit, in der zu den wichtigsten Entscheidungen der damaligen, von Klaus Rainer Röhl geleiteten konkret-Redaktion gehörte, ob man den Mädchenarsch von links oder von rechts abbildet.

Sehr geehrter Herr K. R. Röhl,

immer wieder frage ich mich, warum eine Tochter von Ulrike Meinhof und Ihnen unterschlagen wird. Während die Tochter Bettina Röhl im Internet viel vertreten ist, tritt über die andere Tochter Regine Röhl absolut gar nichts an die Öffentlichkeit, was neugierig macht.

Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, wenn ich mich nach der Regine Röhl erkundige?

Bleiben Sie gesund und bleiben Sie mir gewogen. Mit bester Empfehlung

 

Die deutsche Öffentlichkeit hatte seit der Wiedervereinigung reichlich Gelegenheit zu lernen, wie man aus rassistischen und antisemitischen Übergriffen Kapital schlägt: indem man eine Truppe zum Kerzenanzünden und Händchenhalten antreten lässt, die man Zivilgesellschaft nennt und die mit fast jeder rassistischen Schweinerei einverstanden ist, es sei denn, sie hemmt den Export.

Wie wenig man zum Schutz von Menschen mit merkwürdigen Nachnamen und Hautfarben zu tun bereit ist, fasste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner Rede zum Gedenken an den Anschlag in Halle zusammen: »Es reicht nicht, zur Tagesordnung überzugehen.«

Dass das heißt, dass eine Handvoll deutscher Polizisten sich vor jüdischen Einrichtungen die Füße plattstehen soll, konnte der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), nicht wissen. Er monierte daher, dass die Beamten, die jetzt die Synagoge in Halle bewachten, anderswo fehlten. Zum aktuellen deutschen Antisemitismus befragte konkret für diese Ausgabe die Schriftstellerin und Journalistin Ramona Ambs (Seite 3).

 

Deutscher Antirassismus bedeutet, tote Ausländer öffentlich zu betrauern, lebende aber auf keinen Fall vor dem Ertrinken oder Verhungern zu retten. Denn, so Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf die Frage, warum man keine unbegleiteten Jugendlichen von den griechischen Inseln aufnehmen solle: »Unser Herz ist groß, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt.«

Der Wahlkampf Kretschmers bestand vor allem darin, durch Sachsen zu tingeln und der dort ansässigen besorgt-wütenden Bevölkerung zu versichern, dass sie nicht die Schmutzkonkurrenz wählen müsse, damit Kanaken draußen bleiben und die, die schon hier sind, nach deutscher Sitte drangsaliert werden: »Die großen europäischen Ideen, Frieden und Zusammenhalt, haben an ihrer Richtigkeit nichts verloren. Aber heute treiben die Menschen andere Themen gerade stärker um: Grenzkriminalität, Migration, auch das Urheberrecht.« Dass Kretschmer einer konkret-Leserin ein Autogramm gab, und zwar ausgerechnet auf der Ausgabe, deren Titel noch einmal klarstellt, was von den Deutschen, ihren großen Herzen und dem, was sie umtreibt, zu halten ist, nährt den Verdacht, er könnte zu allem Überfluss auch noch brunzdumm sein.