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Auch als App

Vor 60 Jahren wurde die Politrockband Floh de Cologne gegründet. Höchste Zeit, sie wiederzuentdecken. Von Ulrich Tietze

Eine Studentin und mehrere Studenten der Theaterwissenschaft an der Universität Köln beschlossen Mitte der sechziger Jahre, Kabarett zu machen. Ihre Premiere fand am 20. Januar im Hinterzimmer des Lokals »Franziskaner im Gürzenich« statt. Dieter Klemm, Darsteller, Sprecher und später jahrelang Manager von Floh de Cologne, erzählt aus der Anfangszeit, als er noch nicht zur Truppe gehörte: »Ich war von der Power und der Professionalität der Beteiligten vollends baff. Der Abend war für mich ein Aha-Erlebnis, das Erlebte rüttelte an meiner gesamten Gedankenwelt.«

Das Studentenkabarett wurde so gefragt, dass einige nicht dabeiblieben, weil sie weiterstudieren wollten. Schließlich kam der Sprung in die Professionalität. Vier Wochen lang spielte Floh de Cologne das letzte genuine Kabarettprogramm »Zwingt Mensch Raus« im Münchener »Rationaltheater«, alle Vorstellungen waren ausverkauft. Aber wer kam? Klemm: »Die Steuerberater, die Hals-Nasen-Ohrenärzte, die Rechtsanwälte, die mit ihren Gattinnen und einem Fläschchen Sekt an Tischen vor uns saßen und sich scheckig lachten, so als wollten sie sagen: So drastisch hat es uns noch niemand gegeben. Wir fühlten uns wie Clowns für das Großbürgertum, das wollten wir nicht.«

Trotzdem wechselten die Künstler ins Profi-Lager, mit allen finanziellen Risiken, die bei einer politisch agitierenden Gruppe unausweichlich waren. Hansi Frank, eines der Gründungsmitglieder, berichtet: »Wir standen finanziell immer mit dem Rücken zur Wand.« Was sie keineswegs davon abschreckte, Neues zu probieren. Floh de Cologne erweiterte das Repertoire um Rockmusik mit deutschen Texten, die sich primär an Lehrlinge und Arbeiter richteten. Die Inhalte wurden vereinfacht, nicht aber die Aussagen; viele Wortspiele gelten bis heute, etwa: »Die einen verdienen, die anderen dienen.« Und wenn auch die Flöhe viel Kritik einstecken mussten – ihr Politrock war bahnbrechend trotz Tadel solcher Art: »Holzhammer-Aufklärung«, »unnötige Überdrehung in Wort und Beat« oder auch das etwas bemüht klingende Statement, sie seien »wahrscheinlich zur Zeit das Beste und Stärkste, was in der Bundesrepublik noch irgendwie mit Kabarett zu tun hat – aber auch das Gefährlichste«.

Sie waren die Erfinder der deutschsprachigen Rockoper: »Profitgeier« hieß das Programm, bei dem insgesamt rund 300.000 Menschen zuhörten und -sahen. Die Faktendarstellung – von Beginn an Bestandteil aller Floh-Programme – führte zum Boykott im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ein anderes gab es noch nicht), bis die Gruppe 1978 beim politisch-satirischen WDR-Magazin »Dreizack« mitwirken durfte.

Es gab damals nur drei Musikgruppen, die in deutscher Sprache gesellschaftskritische Texte sangen und sprachen: Ihre Kinder (heute kaum noch bekannt), Ton Steine Scherben (die sich nach einigen Jahren vom Politrock lossagten) und eben Floh de Cologne. Alle drei Bands fanden ihrerzeit in den bürgerlichen Medien kaum statt. Heute sind die Scherben geradezu ein Mythos, und die Flöhe wurden 2023 – 40 Jahre nach ihrer Auflösung – mit dem Holger-Czukay-Ehrenpreis für Popmusik geehrt. Immerhin.

In den siebziger Jahren war die Gruppe so bekannt, dass sie auch hohe Risiken eingehen konnte. 1972 starb der Großindustrielle Friedrich Flick und wurde mit höchsten Ehren beigesetzt. Die Trauerreden boten unfreiwillige Satire und sprachen den Toten heilig. Kein Wort von seiner Verurteilung als Kriegsverbrecher, kein Wort über die Sklavenarbeit von Kriegsgefangenen in seinen Fabriken und über die brutalen Misshandlungen der dort schuftenden Frauen. Kein Wort davon, dass Flick einer der wichtigsten Unterstützer Hitlers war. Ob Springerpresse, Wirtschaftsvertreter oder Politik: Alle sangen das Lied auf einen edlen, gütigen Menschen, der eigentlich heiliggesprochen gehörte.

Die Flöhe eröffneten ihr gründlich recherchiertes Programm »Geyer-Sympho-nie« von 1973 mit Fakten, die in den Nach-rufen auf Flick gründlich gefehlt hatten. Sie kommentierten zynisch, aber treffend: »Am Tag, als der alte Nazi, Kriegsverbrecher, Rüstungsindustrielle und Träger des Bundesverdienstkreuzes Friedrich Flick starb, war man sich im Volke einig, dass dies seine sozialste Tat war.« Die von ihm mitverantworteten Morde führten sie zum Statement: »Ein Blutfleck auf der Weste? Kein Problem. Nehmen Sie einfach Bundesverdienstkreuz – erhältlich bei jeder Bundesregierung.«

Nicht nur im Bühnenprogramm »Rock-Jazz-Rakete Lucky Streik« (1972) rief die Gruppe zur Solidarität der arbeitenden Menschen auf; sie spielte immer wieder ohne Honorar für diejenigen, denen sie sich verbunden fühlte. In »Lucky Streik« ist auch ihre schönste Satire enthalten, »Der Löwenthaler«, in der sie den erzreaktionären ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal mit dem berühmt gewordenen Refrain verspotteten: »Die Milch wird sauer, das Bier wird schal – im Fernsehn spricht der Löwenthal.«

Eine Großtat war auch »Mumien«, eine »Kantate für Rockband« in der 1974 nicht nur die Schandtaten der faschistischen chilenischen Militärjunta benannt wurden, sondern auch die bis heute unfassbare Verharmlosung der Verbrechen durch die bundesdeutsche Presse.

Bis 1983 blieben die Flöhe aktiv, dann löste die Formation sich auf. Die Zeiten haben sich geändert, wenn auch nicht verbessert. Der Kapitalismus verwüstet die Welt weiterhin ungebremst. Aufklärung tut also dringend not, gern auch satirische. Wie das geht, lässt sich an Floh de Cologne immer noch mit Gewinn studieren, und dazu muss man keine aufwendige Recherche betreiben: Das Label Zyx Music verlegt seit 2024 die Schallplatten der Band in einer sorgfältig edierten Neuausgabe. 

Ulrich Tietze ist Pastor i. R., Autor und gelegentlich Kabarettist