Komm’ intern!

Kann man sich für kommunistische Parteiorganisationsarbeit, die hundert Jahre zurückliegt, begeistern? Wohl kaum. Doch Olga Benarios Buch Berliner kommunistische Jugend, das jetzt zum ersten Mal veröffentlicht wurde, ist schon als seltenes Dokument der Zeitgeschichte – die Parteiarbeit kommunistischer Jugendverbände in der Weimarer Republik ist kaum dokumentiert – des Lesens wert. 

Auch weil es das einzige Schriftstück der 1908 in eine jüdische, sozialdemokratisch orientierte Münchener Anwaltsfamilie geborenen und 1942 von den Nazis in der Tötungsanstalt Bernburg ermordeten Kommunistin und Antifaschistin ist, das je erschienen ist. Die Erstveröffentlichung erfolgte 1929 in Moskau, wohin Olga Benario nach der Befreiung ihres Lebensgefährten Otto Braun aus dem Gefängnis, an der sie beteiligt war, flüchtete. 

Vermutlich hat sie ihre Erfahrungen auf Deutsch niedergeschrieben, die dann anschließend ins Russische übersetzt wurden. Doch der deutsche Originaltext liegt nicht vor. Berliner kommunistische Jugend wurde vor allem mit dem Ziel veröffentlicht, sowjetischen Jungkommunisten vom Kampf ihrer westlichen Genossen zu berichten – 1929 hatte man die Idee von der Weltrevolution noch nicht ganz aufgegeben. Jenseits des Agitprop sind Olga Benario und ihre Weggefährten Lebemenschen, die lachen, streiten, singen, Ausflüge ins Freie machen und sich mit der Polizei anlegen: »Es ist nicht allzu schwer, Plakate an irgendeinen beliebigen Ort zu kleben. Das kann jeder. Versuch jedoch mal, solche Stellen zu finden, die gleich ins Auge springen, für Polizisten aber unzugänglich sind!«

Benarios Buch bietet einen tiefen Einblick in die Agitprop-Arbeit der kommunistischen Organisation in der Fordismus-Ära, als eine auf industrieller und uniformierter Massenproduktion basierende kapitalistische Produktionsform Massenparteien und Massenorganisationen hervorrief, als es das Proletariat mit seiner Armee und Reservearmee gab. Das passende Gegenstück zu ihrem Buch, um den Zeitgeist zu verstehen, ist der Film »Modern Times« von Charles Spencer Chaplin.

Andrei Doultsev