Väterchen Macrons Nazi-Mimikry

Auch in Frankreich begegnet ein Staatschef dem Rechtsruck mit einem Rechtsruck. Von Andrei Doultsev

Als der ehemalige sozialistische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron im Jahr 2017 zum französischen Präsidenten gekürt wurde, lehnte er es ab, seine Wahlparty an dem für die Sozialisten üblichen Place de la République zu feiern. Statt dessen ließ er die Party, die Gaullisten nachahmend, vor dem Louvre veranstalten – nur wenige wollten in dieser Geste eine Zäsur wahrnehmen. »Die Mitte« feierte ihren Präsidenten und sich selbst.

Dass sieben Jahre später das Auftreten und der Sprachgebrauch des Präsidenten Macron bei seiner Pressekonferenz am 16. Januar 2024 im Elysée-Palast nun auch seine engsten bürgerlichen Mitstreiter aufhorchen ließ, bezeugt den Trend der politischen Entwicklung in Frankreich, wo rechtsextreme Ideologeme im Laufe der vergangenen Jahre nicht nur salonfähig, sondern zum Mainstream geworden sind.

Emmanuel Macron erklärte, dass seine Regierung »um eine klare Linie« bemüht sei, »damit Frankreich Frankreich bleibe, die Nation des gesunden Menschenverstands, des Widerstands und der Aufklärung«.

Bereits im Jahr 2002 wurde der Slogan »Pour que la France reste la France« von Jean-Marie Le Pen verwendet, 2018 stand er auf einem Flugblatt der Partei Les Républicains, und anschließend wurde er 2022 als Wahlkampfslogan des rechtsextremen Kandidaten Eric Zemmour im Präsidialwahlkampf benutzt.

Jenseits der stilistischen Redewendungen, die den politischen Rechtstrend aufzeigen, entfaltete Emmanuel Macron während seiner Rede die reaktionäre Argumentation eines Väterchens der »Grande Nation«: Er proklamierte die »Wiederbewaffnung Frankreichs und der Franzosen« – und zwar »zivil«, »demografisch« und »agrarisch«. Das Wort »Ordnung« fiel in fast jedem Satz. Auf die Frage einer Journalistin, ob seine Rede ein »altmodisches« Bild vermitteln könnte, erwiderte Emmanuel Macron, »dass es ohne Ordnung keinen Fortschritt« gebe. Der Staatschef bekräftigte anschließend seinen Willen, »Orientierungspunkte« zu schaffen, und sie über Wissen, Geschichte und Werte zu vermitteln.

Philippe Moreau Chevrolet, Spezialist für politische Kommunikation, stellte gegenüber dem französischen Radiosender Franceinfo fest, dass Macron »auf semantischer Ebene einen Schwenk nach ganz rechts« vollzogen habe, vor allem mit Blick auf dessen Äußerungen zur Jugendpolitik: Der Staatschef plädierte vor allem dafür, die Nutzung von Bildschirmen für »unsere Kinder«, die im Rahmen eines neuen Staatsbürgerkundeunterrichts »erzogen werden sollen«, einzuschränken. Nach Ansicht von Moreau Chevrolet vertritt Macron »die Vision einer gefährlichen Jugend, wie man sie seit 1968 nicht mehr geteilt hat«.

Die Ankündigungen des Staatschefs am 16. Januar bestätigten die Verschärfung seines Kurses. So plädierte Emmanuel Macron für eine mögliche allgemeine Einführung der Schuluniform im Bildungswesen bis zum Jahr 2026, wenn das Uniform-Experiment, das nun an mehreren Schulen starten soll, sich als erfolgreich erweise. Ein Thema, das der Rechten und der extremen Rechten am Herzen liegt. Er erklärte sich auch »positiv« gegenüber dem Erlernen und regelmäßigen Singen der Marseillaise in der Grundschule. Zum Thema »Ordnung« versprach der Staatschef unter anderem, den Kampf gegen den Drogenhandel zu verschärfen und zu 
beschleunigen.

Dollfuß gegen Hitler: Politisches Spiel gegen Marine Le Pen

Der Rechtsruck in der Rede Macrons ist Teil der politischen Strategie von Beratern wie Bruno Roger-Petit. Einer Strategie, die mit der Ernennung des jungrechten »BabyMacron« (»The Guardian«) Gabriel Attal zum Premierminister für aktiven Stimmenfang in rechten politischen Gewässern steht. »Es findet ein Kampf zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron um 
rechte Wähler statt«, beobachtet Moreau Chevrolet. Zwar liegt Emmanuel Macron in den Umfragen zu den Europawahlen am 9. Juni weit hinter Le Pens Partei, doch linke Wählerstimmen kümmern ihn offensichtlich wenig. Viel mehr interessieren ihn die Wähler der Rechtsextremen: »Ja, ich beanspruche, die illegale Einwanderung auf unserem Territorium zu bekämpfen, ... die Schleppernetzwerke zerschlagen zu können.«

Auf den Punkt brachte das Verhalten des Präsidenten Macron während seiner Pressekonferenz der Abgeordnete der Grünen Benjamin Lucas auf X (vormals Twitter): »Präsident Macron überlässt der extremen Rechten das Feld, indem er deren Programm bestätigt.« Moreau Chevrolet kommentierte seinerseits, dass Macron, der im Wahlkampf 2017 einst eine »Normalisierung« und eine »Überwindung der Links-Rechts-Spaltung« forderte, nun rechten Ideologemen zustimmt, was einen Verrat an seiner Wählerschaft bedeute.

Bei der Abstimmung über das Einwanderungsgesetz, das nach Verhandlungen 
mit der Rechten verschärft wurde, hatten zwanzig Abgeordnete der Macron-Mehrheit dagegen gestimmt und neunzehn sich ihrer Stimme enthalten. Ein Verhalten, in dem Moreau Chevrolet das Zeichen eines Boykotts seitens seiner linken Wählerschaft sieht. Diese Abgeordneten des linken Flügels im Präsidentenlager könnten übrigens versuchen, eine Splittergruppe zu bilden und die Verabschiedung von Gesetzen in der 
Nationalversammlung, in der Emmanuel 
Macron und die Regierung über keine absolute Mehrheit verfügen, noch weiter zu erschweren. Auch wird Macron von seinen 
ehemaligen linken Anhängern vorgeworfen, den rechtsextremen Begriff »décivilisation«, den der Ideologe der Rechtsextremen, Renaud Camus, geprägt hat, übernommen zu haben.

Während Macrons Anhänger ihm vor allem die entschiedene Rhetorik gegen Marine Le Pen zugute halten, die er klar als politische Feindin bezeichnete, erinnern die gegenwärtigen Zustände in Frankreich vor allem an das Österreich der 1930er Jahre. Damals hatte Engelbert Dollfuß vergeblich versucht, Hitler zu verhindern, indem er dessen Rhetorik übernahm. Er scheiterte.

Andrei Doultsev schrieb in konkret 1/24 darüber, wie Tunesien den Kontakt zu Israelis unter Strafe stellen will