Projekt
Guttenberg

Der Plagiatsminister K. T. zu G. arbeitet an seiner Rehabilitierung. Aber musste er deshalb gleich ein Buch schreiben? Von Cornelius W. M. Oettle

Im November 2023 ist er zu Gast bei Sandra Maischberger. Die Moderatorin fasst zum Auftakt eines denkwürdigen Gesprächs seine politische Karriere zusammen: »CSU-Generalsekretär, Bundesminister, dann ein Plagiat.« Der Gast grätscht dazwischen: »Und was für eines!« Kurze Stille. Ein Scherz? Niemand lacht. Maischberger fährt fort: »Mal angenommen, Sie sind auf einer Party, wo man Sie gar nicht kennt. Wie stellen Sie sich in zwei Sätzen vor?« Antwort: »KT Guttenberg. Punkt.«

Nach dem Hinweis, dass das keine zwei Sätze sind, meint KT Guttenberg: »Manchmal muss man es bei einem Satz lassen, ich hab’ früher schon zuviel gequasselt.« Ein trister Anklatschversuch eines einzelnen Guttenberg-Claqueurs hallt durchs Studio. Das restliche Publikum stutzt. Wieder Maischberger: »Das ist entweder totales Understatement oder wirklich eitel.« Guttenberg: »Eitel ist es sicher nicht, da hatte ich eine Überdosis bereits im Leben.« Letztlich sei die Berufsbezeichnung »KT Guttenberg« ein Bezug darauf, »dass ich am Ende des Tages einfach nur ein Mensch bin«. Ob dieser Mensch in die Politik zurückkehren werde? »Das können Sie abschreiben. Und mit Abschreiben kenne ich mich aus, das wissen Sie.«

Wer bei diesem Tête-à-Tête schon ein leichtes Jucken am Fremdschambein spürt, sollte besser gar nicht erst erfahren, dass Karl-Theodor Maria Undsoweiter Undsofort von und zu Guttenberg ein Buch geschrieben hat, in welchem er seine neugewonnene Selbstironie auf 140 Seiten auswalzt. Der Klappentext beantwortet die Frage nach dem Beruf anders: »KT Guttenberg ist Unternehmer, Co-Produzent und Moderator von Dokumentarfilmen und anderen publizistischen Formaten.« Dass der Verlag die Moderation des »RTL-Jahresrückblicks 2022« (zusammen mit Thomas Gottschalk) nicht erwähnt, kann man ihm kaum verdenken.

3 Sekunden heißt die Sammlung jener Anekdoten aus dem Guttenbergschen Alltag, die der 51jährige regelmäßig auf der Geschäftskontaktplattform LinkedIn veröffentlicht. In den Kommentarspalten sind die Geschäftskontakte voll des Lobes für den neuerdings so selbstkritischen und reflektierten Karl-Theodor. Läuft ganz nach dessen Gusto. Dieser Mann tüftelt an seiner Rehabilitierung. Das Projekt Guttenberg ist in vollem Gange.

Dementsprechend strotzt das Werk vor self-deprecating humor. Sei’s die Beschreibung seines Outfits am Flughafen (»Chucks, Stretch-Chinos, Hoodie, Rucksack. Der missglückte Eindruck, cooler als die eigenen Kinder zu sein«), sei’s die Zurschaustellung von Unzulänglichkeit (»Meine handwerklichen Fähigkeiten führen eher zum Verbandskasten als zum erhofften Ergebnis«) – Guttenberg will uns in aller Deutlichkeit klar machen, dass er wirklich gar nichts kann.

Wer der überbordenden Selbstironie zum Trotz noch auf das zu achten vermag, was der Autor darüber hinaus artikuliert, merkt aber bald, dass KT insgeheim ganz der Alte ist. Zwar versucht er unerbittlich, sich auf ausnahmslos jeder Seite als Sympath zu verkaufen: »Sitze mit dämlicher Pudelmütze im Englischen Garten.« Kurz drauf gleich noch mal: »Gefühlt alle machen sich über meine Pudelmütze lustig.« Doch spätestens, wenn sein Blick auf zwei Trinker fällt, fährt’s dem Adel ins Gebein: »Am fröhlichsten sind heute schließlich zwei sternhagelvolle bayerische Landsleute. Sie taumeln zum besagten Kiosk. Es ist 13.15 Uhr. Auch im Süden Deutschlands läuft nicht alles rund.« Fröhliche Säufer am Mittag: Ausweis eines dysfunktionalen Landes. Da kommt der Oberschichtler zu sich.

Es nähme einen aber auch Wunder, hätte ausgerechnet Guttenberg sich des Dünkels seines Standes zu entledigen gewusst. Obzwar er selbst, na logo, ganz anders tickt als die Aristokraten um ihn herum: »Ich habe mir den Spott meiner Familie hart erarbeitet: Gelegentlich ertappt sie mich, wenn ich mir ›Bares für Rares‹ in der ZDF-Mediathek ansehe.«

Überdies hört er Bruce Springsteen. Wie wir einfachen Leute. »Bis heute kann ich mir weder Witze noch Gedichte merken. Aber jede Textzeile der Alben vom ›Boss‹. Selbst von B-Seiten der alten Singles.« Nur dann eben doch nicht wie wir einfachen Leute: Guttenberg erzählt, er habe Springsteen seine Hochachtung einmal persönlich in einem besonderen Fan-Moment versichern können – und zwar 2018 auf einem Reitturnier in Florida, an dem die Töchter der beiden Männer teilnahmen.

Er wäre halt so gern alles auf einmal: Norbert Blüm und Elon Musk. Ein kleiner Mann mit peinlicher Pudelmütze und Faible für Horst Lichter, zugleich aber einer von denen da oben, ein Freiherr von Welt mit prominenten Mentoren wie dem jüngst verblichenen Henry Kissinger: »Vor 35 Jahren hat Henry mich unter seine Fittiche genommen.«

Am komischsten aber wird’s, wenn der Freiherr zum Pöbel hinabsteigt: »Bitte! Danke! Wiedersehen! Kinderstube offenbar ausgefallen bei dem Herrn!«, blökt der ehemalige Verteidigungsminister in einer seiner Geschichten einem Bäckereikunden hinterher, dessen Umgangsformen aus Sicht eines Guttenberg zu wünschen übriglassen. Den Rüpel malt er uns zuvor als »leibhaftigen Büffel«. KT ist ein Mann von Mut, der sich auch mit Größeren anlegt. Inspiriert von einer Verkäuferin, die einen ähnlichen Unhold mit übertriebener Freundlichkeit entwaffnet, fasst er auf einem Kurztrip in den USA jedoch den Entschluss: »Den nächsten Münchener Morgenmuffel werde ich nicht belehren, sondern ihm ›Honey, you look amazing‹ zurufen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bäckerei mit einem blauen Auge verlassen.« So geht’s nun mal zu im Münchner Proletariat: Wer beim Bäcker Englisch spricht, kriegt ein Veilchen verpasst.

Ob dieser durchschaubare Plan aufgeht? Ob er mit all dieser Anbiedermeierei sein Image in der BRD wiederherstellen können wird? Ganz bestimmt. Guttenberg ist ja vor allem eines: ein hochtalentierter Blender, ein gerissener Hochstapler, ein Aufschneider vor dem Herrn. Auch die anfangs skeptische Maischberger ging dem Charmeur nach gut zwanzig Minuten Interview auf den Leim: »Sie sind heute so extrem reflektiert!« Er hat’s halt immer noch drauf: KT Guttenberg. Punkt.

KT Guttenberg: 3 Sekunden. Notizen aus der Gegenwart. Herder, Freiburg 2023, 144 Seiten, 16 Euro

Im neuen Buch von Cornelius W. M. Oettle geht es nicht um KT, sondern KI (Meine Witze sind alle nur gecloud, Yes Publishing)