Die gute Tat am Automat

Lidl

Dieter Schwarz ist so reich, dass niemand genau weiß, wie viele Taler er in seinem Geldspeicher hortet. 41 Milliarden Euro, vermuten die einen, die anderen tippen auf 28 Milliarden beziehungsweise 39 Milliarden US-Dollar. Weithin unstrittig ist, dass Schwarz, der Gründer der Discounterketten Lidl und Kaufland, die Top-Ten-Liste der deutschen Oligarchen anführt, dass er die Öffentlichkeit meidet wie ein Reh, Interviews verweigert und nicht so gern Steuern berappt, wobei ihm das Stiftungsrecht und seine Heimatstadt Heilbronn die schönsten Dienste leisten.

Dieter Schwarz ist 83 Jahre alt. Viel Zeit auf Erden bleibt ihm also nicht mehr, egal, wie gründlich er sie zu seinem Wohle geplündert hat, und als bekennender Christ macht er sich vermutlich Gedanken über das Zeugnis, das er in nicht mehr ferner Zukunft vor seinem Schöpfer ablegen muss. Anders jedenfalls ist schwerlich zu erklären, warum Schwarz sich gern als Mäzen feiern lässt – obwohl er bei näherem Hinsehen eher wie ein »Mä=5« (Arno Schmidt) aussieht –, und weshalb er so tut, als lägen ihm Hungertuchnager am Herzen. Zu diesem Zweck nämlich ließ Schwarz 2008 die Leergutmaschinen der Lidl-Märkte mit der Option ausrüsten, Pfanderlöse an die Armenspeisung der Tafel Deutschland abzugeben.

Das ist zwar arg knauserig und mitnichten ein Beleg für Großherzigkeit – Spender sind schließlich die Lidl-Kunden, nicht der Kapitalist. Doch Schwarz will für die Maßnahme, die ihn so gut wie nichts kostet, gepriesen werden, und wenn dies schon die Presse nicht tut, dann kann es ja die Reklameabteilung erledigen. Also veröffentlichte Lidl im Dezember ein Image-Video, das vortrefflich zur Weihnachtszeit passte, weil es Turbokitsch und Bigotterie aufs Brechreizendste vereint.

Die Eröffnungsszene zeigt eine Frau, die die 70 lange hinter sich hat, in einem Wohnzimmer, dessen Möbel mindestens halb so alt sind wie sie. Auf dem Couchtisch nadelt ein schäbiger Adventskranz vor sich hin. Die Seniorin will telefonieren, erreicht aber niemanden. Sie schlurft in die Küche und inspiziert den Kühlschrank, der wenig mehr als ein halbleeres Glas Gewürzgurken enthält. Zurück in der guten Stube, fischt sie eine Keksdose vom Schrank, in der sie Erspartes aufbewahrt, doch mehr als ein Dutzend kleine Münzen liegt nicht darin. Nun setzt mit durchgedrückten Pedalen ein klumpiges Klaviergeklimper ein, für das eine Strafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses nicht unangemessen wäre.

Die alte Frau macht sich mit roter Häkelmütze und Hackenporsche zum Spaziergang bereit. Danach beobachten wir sie beim Verlassen ihres Wohnsilos: Eine Nachbarin grüßt wortlos, etwas Schnee liegt herum, der Himmel hat die Farbe von Möwenkot. Die alte Frau fischt aus dem Papierkorb vorm Eingang eine Getränkedose, an der eine Bananenschale hängt, und wirft einen besorgten Blick zurück, aber zum Glück hat außer uns niemand was gesehen. Diese Rentnerin steht, kein Zweifel, sehr weit unten in der Geldverteilungshierarchie. Und damit auch der letzte Depp die Rührungsabsicht begreift, gesellt sich jetzt zum Klaviergehämmer ein Sopran, der in einer Sprache, die möglicherweise Englisch ist, irgendetwas Jämmerliches jodelt. Auch für dieses akustische Verbrechen wäre eine gerichtliche Sanktion nicht übertrieben.

In rascher Schnittfolge wird die alte Frau bei der Flaschensuche in einem Bahnhof gezeigt; der Film spielt in Berlin, wie ein gelber S-Bahn-Waggon signalisiert. In der folgenden Szene sucht sie einen verschneiten Spielplatz auf. Als sie einen Papierkorb mit der Aufschrift »Du bist voll in Ordnung« inspizieren will, macht ein Teenie-Pärchen ihr klar, dass jemand wie sie in der Ordnung der Welt weniger wert ist als ein Fußabtreter. Der Junge holt mit einem Schneeball zum Wurf aus, das Mädchen grinst sadistisch, die Alte wird am linken Arm getroffen. Ihre Miene wirkt weniger erschrocken als resigniert, so, als wäre ihre Demütigung voll in Ordnung. Da aber erscheint ein Engel, das heißt ein Junge von elf oder zwölf Jahren. Mit honigsüßem Lächeln überreicht er der Frau eine leere Buddel, und sie lächelt ergriffen zurück.

Die nächste Szene spielt auf Andersens Märchen vom kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern an und beschmutzt das Vorbild nach Kräften: Die Flaschensammlerin bleibt vor einem großen Fenster stehen und sieht mit tränenfeuchten Augen zu, wie eine wohlgenährte Kleinfamilie fröhlich Geschenke auspackt. Ausnahmsweise sind die Worte des Begleitsongs zu verstehen; die Sängerin knödelt: »I would die for you.« Wie alles in diesem abgefeimten, abgrundtief zynischen Zweieinhalbminutenclip ist das kein Versehen, sondern Absicht.

Die Himmelfahrt der alten Frau erfolgt in der letzten Szene. Sie strebt einer vollverglasten Lidl-Halle zu, die die Winternacht erhellt wie eine göttliche Verheißung. Die Rentnerin füttert den Leergutapparat mit der Ausbeute des Tages; sieben kümmerliche Euro stehen schließlich auf dem Bon. Da entdeckt sie im Trolley eine letzte Pfandflasche; eine Rückblende erinnert sie und uns an den kleinen Engel, der ihr eben dieses Gebinde schenkte. Die alte Frau lächelt beseelt, steckt das Gefäß in die Maschine und drückt auf dem Display den Button für »Spende«. Klavier und Jodlerin jubilieren in Dur, während im Abspann dies zu lesen ist: »In Deutschland sammeln über 900.000 Menschen täglich Pfand. … Durch eure Pfandspenden wurden in den letzten 15 Jahren über 30 Millionen Euro an Tafel Deutschland gespendet.«

Der Lidl-Clip ist zwar in jedem Bild so falsch wie der Dativ in seinem Titel, doch zugleich die korrekte Selbstdarstellung eines Idealkapitalisten: Seine Verachtung fürs Prekariat tarnt er als Mitleid, seinen Geiz als Großzügigkeit, und seine Moral besteht darin, die Ausgebeuteten aufzufordern, den letzten Dreck, von dem sie leben müssen, mit ihresgleichen zu teilen.

Kay Sokolowsky