Die Bestialität beginnt hier

Richard Schuberth über die ethische Verrohung mancher Israel-Unterstützer

Hatten nach den Pogromen durch die Hamas verunsicherte Antiimperialisten noch herumräsoniert, ob das Massakrieren, Foltern und Vergewaltigen von jüdischen Zivilisten jetzt noch als Widerstand zu bewerten sei oder doch schon als nicht so toll, ob die Hamas also nun Ho Chi Minh beerbe oder nicht, so boppte die ethische Verrohung (die immer auch eine geistige ist) bald auch auf der Gegenseite auf. In Form eliminatorischer Fantasien und Aufklärungsposts, in denen eine lange Tradition der Antisemitismusanalyse von Adorno bis Postone dazu missbraucht wurde, jeden Bewohner, jede Bewohnerin von Gaza als manifesten Islamonazi zu markieren, der sich das, was ihm nun blühen sollte, selbst zuzuschreiben hätte. In Online-Fatwas vom Laptop aus wurden sie als Untermenschen zum Abschuss freigegeben.

Das Problem mit der bedingungslos Israel-solidarischen Szene ist die völlige Empathielosigkeit vieler ihrer jetzt lautesten Demagogen und deren mangelnde Bereitschaft, ihre Licht-und-Schatten-Metaphysik einer differenzierteren Sicht der historischen Genese zu opfern, in der auch das Leid der anderen seinen Platz findet. Zwar ist ein beträchtlicher Teil dieses Leids auf Israel projizierter Hass auf das Gefangensein in der eigenen von politischen Mafiosi und Hetzern kontrollierten Gesellschaft, aber eben nicht nur.

Doch die autodidaktischen Nahostexperten beider Seiten der Bildschirmfront sparen nicht mit brandheißen Lösungsvorschlägen. Die einen haben etwa die zündende Idee, dass die Palästinenser ihren »berechtigten Widerstand gegen die imperialistische Okkupation« beim nächsten Überfall nicht so sehr im Massakrieren jüdischer Zivilisten ausleben, sondern eher auf sympathiebildende Maßnahmen setzen sollten (Rasenmähen, Babysitten?), um die israelische Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen. Die anderen stellen der Bevölkerung von Gaza das Ultimatum, binnen fünf Stunden einen Aufstand gegen die Hamas-Führung zu starten; ansonsten sei ihr drohender Tod verdient.

Die israelischen Reservisten, die da reingeschickt werden, und die palästinensischen Zivilisten, die ins Sperrfeuer geraten, freuen sich bestimmt über diese ideologischen Rückendeckungen aus dem Abendland.