Männersachen

Die massenhaften Übergriffe auf linken Festivals zeigen, dass auch Linke männliche Sexualität oft nicht angemessen problematisieren. Von Kim Posster



Die Vorfälle auf den Festivals Fusion und Monis Rache haben die linke Szene in Aufruhr versetzt. Auf beiden wurden zum Teil über Jahre hinweg per Spionagekameras Aufnahmen von Besucher_innen auf Dixiklos und Duschen angefertigt, die dann auf der Internetpornoseite Xhamster angeboten und im fünfstelligen Bereich angeklickt wurden. Der Täter von Monis Rache, Henning F., war jahrelang bei dem Festival und in anderen linken Strukturen eingebunden. Außerdem schützten ihn sowohl die sogenannte Erst-Kenntnis-Gruppe der Festivalorganisation als auch einige Mitbewohner_innen seines Hausprojekts dadurch, dass sie vollkommen intransparent und ohne wirkliche Konsequenzen mit ihm Täterarbeit machen wollten, bis die investigative Reporterin Patrizia Schlosser die Taten im Januar aufgedeckt hat.

Seitdem gibt es wieder verstärkte Diskussionen über Übergriffe, Täterschutz und die Möglichkeiten sogenannter Awareness-Konzepte in linken Räumen. Außerdem steht die Unterstützung der Betroffenen, überwiegend Frauen und Menschen, die für Frauen gehalten wurden, im Fokus. Hierzu bieten die Artikel der Journalistin Bilke Schnibbe klare und schonungslose Analysen. Welche Rolle männliche Sexualität für diese Exzesse, Rape Culture im allgemeinen und den Umgang mit ihnen spielt, wird dabei stets mitgedacht, aber selten ausgeführt. Deswegen lohnt es sich, daran zu erinnern, was dahintersteht, wenn sich erneut zeigt, dass auch linke Männer erst mal Männer und erst dann Linke sind.

Linke Männerphantasien

Das offenbarten die Reaktionen linker (heterosexueller, cis) Männer auf die Vorfälle. Viele, die von Rape Culture und den alltäglichen sexuellen Übergriffen auf Frauen und Queers wenig bis gar nichts wissen (wollen), zeigten sich diesmal schockiert, weil Ignoranz aufgrund des Ausmaßes und der Öffentlichkeit der Vorfälle unmöglich und mit großer Wahrscheinlichkeit eine eigene Partnerin oder Freund_in betroffen war. Der darauf folgende Umgang nahm dabei meist die üblichen Formen männlicher »Praxis« an: Entweder standen Männer verunsichert und planlos im Weg und verlängerten ihre verständliche Überforderung im Angesicht der Gewalt in die dauerhafte Überforderung, diese zu begreifen und sich zu ihr zu verhalten; oder man(n) ging umstandslos über in kraftmeierischen Aktionismus und verkündete, dass man sich »das Schwein« und die »Perversen«, die seine Videos anschauen, mal zur Brust nehmen wolle. Beide Umgangsweisen konnten sich weit verbreiten, weil es nach wie vor wenig Strukturen, Organisation und Austauschmöglichkeiten von und für Männer zu diesem Thema gibt – was eine klassisch profeministische Aufgabe wäre. Trotzdem speist sich sowohl die ambivalente Passivität als auch die pseudo-souveräne Externalisierung aus ein und derselben Quelle: der Identifikation mit den Tätern und ihrer Sexualität. Gerade weil Männer (unbewusst) wissen, dass sie mehr mit den Tätern gemein haben, als ihnen lieb ist, zeigen sie so oft Abwehr, statt die Bedeutung solcher Taten zu begreifen und in ihrem Umgang solidarische Konsequenzen zu ziehen.

»Das Schwein«, seine Kunden und die Pornoindustrie

F. selbst bewies wiederum, warum es nicht unbedingt besser wird, wenn Männer es mal schaffen, männliche Sexualität und sexuelle Gewalt in Verbindung zu bringen: Er verharmloste sich selbst zum passiven Opfer seiner Triebe und verteidigte seine Handlungen damit, dass er eine marginale Sexualität habe, die er tragischerweise nur auf diese Art leben könne. Diesen Unfug ließen ihm feministische Gruppen nicht durchgehen. Sie verwiesen darauf, dass Männer die volle Verantwortung für Übergriffe und Gewalt tragen und diese zentral für die Erstellung und den Konsum der Aufnahmen war. Diese Kritik an der Selbstmystifizierung von männlicher Sexualität, die sich selbst als Instinkt missversteht, der notfalls mit Gewalt irgendwann befriedigt werden muss, ist wichtig. Leider schießt sie manchmal über ihr Ziel hinaus, was selbst mystifizierende Effekte haben kann. Etwa dann, wenn ein Begriff von sexualisierter Gewalt verwendet wird, der bei den sexuellen Übergriffigkeiten von Männern die Machtausübung so sehr fokussiert, dass Sexualität nur noch als fast schon beliebiges Instrument erscheint, dass Männern quasi-souverän zu Verfügung steht.

Dass das nicht aufgeht, offenbart sich spätestens, wenn man über die »Kunden« von F. nachdenkt. Der Konsum der Aufnahmen als Masturbationsvorlage unterstreicht die Einheit von sexueller Befriedigung und der gewaltsamen Unterwerfung von Weiblichkeit, bei der der Zuschauer sowohl Komplize als auch »Genießer« in einem sein kann. Die Phantasie der sexuellen Dominanz und Erniedrigung von Weiblichkeit, die der übliche Inhalt des Malestreams der Pornoindustrie sind, hat sich hier gleichzeitig brutal in der Form verwirklicht.

Die Pornoindustrie und der Pornokonsum von Männern stehen deshalb wieder im Fokus. Hier ist es ebenfalls keine Neuheit, dass in der Produktion von Aufnahmen die Grenzen zwischen gewaltvoller Darstellung und gewaltvoller Herstellung verschwimmen. Jüngst gab es eine Kampagne gegen die größte Internetpornografieseite Pornhub, auf der Videos von entführten oder anderweitig gezwungenen Frauen und Mädchen (eins davon zur Zeit der Aufnahmen 15) breit zugänglich sind und es lange dauert, bis diese gemeldet und gesperrt werden. Es ist keine besonders gewagte Spekulation, dass der Großteil der Verantwortlichen (Seitenbetreiber, »Produzenten« und Zuschauer) Männer sind. Aber bedeutet das, dass jeder Mann, der gerne Malestream-Pornos sieht, schon ein halber Täter ist oder auf dem besten Weg dahin, einer zu werden? Die Frage ist falsch gestellt.

»Porno ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis«?

Denn es macht trotz der existierenden Grauzonen einen großen Unterschied, ob man in Szene gesetzte Vergewaltigungsphantasien konsumiert, die so freiwillig produziert wurden, wie das im patriarchalen Kapitalismus nun mal möglich ist, oder ob man einen realen Übergriff zum eigenen Lustgewinn filmt oder betrachtet. Das heißt aber nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Konsumentengruppen gäbe. Beide drücken auf unterschiedliche Weise patriarchale Verhältnisse und männliche Sexualität aus, jedoch anders, als sich das oft vorgestellt wird.

Die alte feministische These, dass »Porno die Theorie und Vergewaltigung die Praxis« sei, skandalisiert männliche Sexualität nicht zuviel, sondern zuwenig. Denn sie tut so, als ob Phantasie und Verhalten umstandslos ineinander übergingen und folglich die Pornografie die Lust an realen Übergriffen erst in das männliche Subjekt einpflanzen müsse. Männern bietet das bequeme Ausflüchte: Wenn sie in Scham, Schuld und Ekel wegen ihrer Phantasien versinken, wird plötzlich die Phantasie selbst und nicht die Sexualität dahinter zum Problem. Es erlaubt ihnen auch die Vorstellung, dass der Verzicht auf »schmutzige« Phantasien und Pornos sie zugleich von der Lust am Über-griff reinigen könnte.

Das aber ist unmöglich, denn Medien, besonders Pornos, können bestimmte Bilder von Abläufen anbieten, verstärken und insofern ihre Konsumenten_innen beeinflussen, aber keine Sexualität grundsätzlich prägen. Was das Subjekt in Phantasie und Realität begehrt, hängt weniger mit Medienkonsum als mit einer grundlegenden sexuellen Konstitution zusammen, die schon in den frühesten Beziehungen angelegt und beständig umgearbeitet wird.

Der (häufige) Konsum von Vergewaltigungspornos ist also etwas ganz anderes als eine reale Vergewaltigung und macht einen auch nicht zum (potentiellen) Vergewaltiger. Bezeichnenderweise wird diese Erkenntnis der Sexualforschung nur als Argument zur Entdramatisierung von Pornokonsum gesehen, statt sich vom Umkehrschluss beunruhigen zu lassen: Jungen und Männer begehren die gewaltsam-unterwerfende »Vereinigung« mit Weiblichkeit schon lange, bevor sie jemals einen (Vergewaltigungs-)Porno zu Gesicht bekommen.

(Linke) Männer beweisen immer wieder ein manifestes Interesse daran, diesen Zusammenhang gar nicht erst verstehen zu wollen, gerade weil er an ihnen selbst konkret wird. (Für die theoretische Rekonstruktion seien die Vorträge und Bücher des Sozialpsychologen Rolf Pohl empfohlen.) Nur eine radikale und organisierte Kritik der männlichen Subjektkonstitution und ihrer Sexualität würde es aber möglich machen, über »Feuerwehr«-Reaktionen hinaus mit dem Symptomen der herrschenden Rape Culture umzugehen und ihre Grundlage anzugreifen. Das bedeutet Konfrontation mit den alltäglichen Tätern, ihren Komplizen und (männerbündischen) Täterschutzstrukturen, aber auch mit dem kapitalistischen Patriarchat und seiner (Re-)Produktions-, Familien- und Subjektform. Die Frage, ob linke Männer, die sich dieser Konfrontation verwehren oder sie als Nebenwiderspruch abtun, in anderen Kontexten noch als Genossen betrachtet werden können, wird zur Zeit wieder mit vollem Recht diskutiert.

Kim Posster war die längste Zeit seines Lebens Typ ambivalente Passivität und dankt den Genossinnen, die ihn damit konfrontierten