Kufija Culture

Das antisemitische Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 hat in weiten Teilen des deutschen Kunstbetriebs offenen Judenhass entfesselt. Von Markus Ströhlein

Sie werden gemieden, weil sie Israelis – und schaut man genau hin –, weil sie Jüdinnen und Juden sind«, berichtet der Kunstwissenschaftler Jonathan Guggenberger über die Lage israelischer Austauschstudentinnen und -studenten an der Königlichen Akademie der Künste in Den Haag und der Design Academy Eindhoven. Beide Hochschulen setzten nach Boykottaufrufen antiisraelischer Gruppen in diesem Jahr das Austauschprogramm mit der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem aus.

Die Stimmung an den niederländischen Institutionen richtet sich Guggenberger zufolge gegen die dort noch eingeschriebenen jüdischen Israelis, die in ihrer Mehrzahl Gegner der Regierung von Benjamin Netanjahu sind: »Jetzt sprechen sie von einem ›stillen Boykott‹, der sie treffe, obwohl sie die politische Grundeinstellung ihres Umfelds teilten.«

Die Theaterkritikerin Esther Slevogt schildert diesen Fall: »Am Zürcher Neumarkt-Theater konnte eine libanesische Schauspielerin erfolgreich die Besetzung
eines aus Israel stammenden Schauspielers im Ensemble in Produktionen verhindern, in denen sie selber mitspielte. Als Begründung führte sie ein Gesetz im Libanon an, das die Zusammenarbeit mit israelischen Staatsbürgern für libanesische Bürgerinnen unter Strafe stellt.« Das Theater habe mit Verweis auf die »Fürsorgepflicht für alle Mitarbeitenden« der Forderung nachgegeben.

Der Titel des von Matthias Naumann herausgegebenen Sammelbands Judenhass im Kunstbetrieb, in dem die beiden Beispiele zu finden sind, ist treffend gewählt. In Beiträgen der Romanautorin Dana Suffrin, des Sozialwissenschaftlers Jakob Baier, des Tanzwissenschaftlers Alexander H. Schwan, der Film- und Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg, des Mitgründers der Arbeitsstelle für Graphische Literatur an der Universität Hamburg, Ole Frahm, sowie von Stella Leder und Benno Plassmann vom Institut für Neue Soziale Plastik werden auch Erscheinungen des Judenhasses in Literatur, Film, Tanz, Musik sowie Karikaturen und Comics seit dem antisemitischen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 untersucht. Dieses habe, schreibt der Herausgeber Naumann, zu einem »deutlich hervorbrechenden Antisemitismus im Kunstbetrieb« geführt. 

»Versuch einer Bestandsaufnahme« lautet der Untertitel des Beitrags zum Filmbetrieb. Auch in den Texten zu den anderen Kunstformen nehmen Zustandsbeschreibungen viel Platz ein. Das geschieht hier und da zu Lasten einer tieferen Analyse, erfüllt aber insgesamt einen Zweck: Die Menge an Beispielen entkräftet den möglichen Vorwurf, hier sei nur Anekdotisches zusammengewürfelt worden.

Trotzdem bleibt neben der Bestandsaufnahme noch Raum für Analytisches. Die Frage, welche Form des Judenhasses im Kunstbetrieb grassiert, beantwortet Alexander H. Schwan mit einer kurzen, schlüssigen Formulierung – »der Wunsch, dass Israel nicht mehr sei«. Dass die Forderung, der einzige Staat auf der Welt mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit müsse abgeschafft werden, antisemitisch ist, bestreiten die Forderer allerdings. Wie sich die kunstbeflissenen Vertreter des Hasses auf Israel gegen Kritik immunisieren, arbeiten unter anderem Suffrin und Guggenberger heraus: Einspruch gilt
als »hysterische Reaktion prozionistischer Kritiker*innen« und »Produkt rechtskonservativer Staatsräson«, Absagen wegen antisemitischer Äußerungen gelten als Ausdruck der »Cancel Culture und als Ende der Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit«. 

Aus welchen Quellen speist sich dieser Judenhass? Hier beschreibt Schwan aufschlussreich das vom christlichen Antisemitismus geprägte Erbe des modernen Tanzes und gelangt für die zeitgenössische Disziplin, deren jüdische Einflüsse in der Forschung ignoriert werden und der israelischer Tanz als kulturelle Waffe des »Siedlerkolonialismus« gilt, zu dem Schluss: »Zeitgenössischer Tanz in Deutschland, Europa und in weiten Teilen der westlichen Welt ist in seiner ideologischen Grundierung, seinen Strukturen, Personen, ja selbst bis in die Ästhetik hinein, vom Antisemitismus geprägt. … Ohne Judenhass kein Tanz.« Der Geschichte der anderen Kunstformen wohnt der Judenhass nicht derart inne. Die Autorinnen und Autoren verweisen statt dessen unter anderem auf den Einfluss des Postkolonialismus, der zu einer manichäischen Welterklärung heruntergekommen ist, sowie der Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions). 

Erhellend ist auch der Hinweis auf die gemeinschaftsstiftende Funktion des auf Israel gerichteten Judenhasses für das Milieu, das ihn verbreitet: Es handele sich um einen »kulturellen Code«, schreibt Naumann unter Rückgriff auf die Historikerin Shulamit Volkov, die diesen Begriff in den Siebzigern für das antisemitische Gemeinschaftsgefühl im Deutschen Kaiserreich prägte. Das Bekenntnis zum Hass auf Israel zeige, »ob jemand den Code des Betriebs verstehen kann, ergo, ein guter Fußsoldat des Funktionierens, ein Betriebsfunktionär und ein Apparatschik sein wird«, führen Suffrin und Guggenberger aus. »In der Kunstwelt ist das Erkennungszeichen dafür die Kufija geworden.« Dass das sogenannte Palästinensertuch derzeit sogar zum Sortiment von Galeria Kaufhof gehört (»Shemagh-Halstuch« von Normani, kann »kontrastreich zum Outfit getragen werden«, 11,85 Euro), zeigt, wie der »kulturelle Code« nicht nur im Kunstbetrieb Verbreitung findet. 

Doch was tun gegen die »sehr konkrete Atmosphäre des Judenhasses« (Naumann)? »Bildung, Denken und verantwortliches Handeln« (Schwan) oder »vielleicht einfach Kunst machen« (Suffrin/Guggenberger)? »Projektförderung zur Auseinandersetzung mit Antisemitismus innerhalb des Kulturbetriebs«, »Unterstützung angegriffener Institutionen und betroffener Künstler*innen« (Leder/Plassmann)? Die gesammelten Vorschläge lassen sich kaum auf einen Nenner bringen. Zu tun wäre in jedem Fall etwas Grundsätzliches: »Antisemitischen Äußerungen ist sehr energisch entgegenzutreten: Sie müssen sehen, dass der, welcher sich gegen sie stellt, keine Angst hat.« Das empfahl Theodor W. Adorno 1962 in seinem Vortrag »Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute«. Als solch ein energisches Entgegentreten lässt sich die Veröffentlichung dieses Bandes durchaus verstehen.

Matthias Naumann (Hg.): Judenhass im Kunstbetrieb. Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023. Neofelis, Berlin 2024, 214 Seiten, 18 Euro 

Markus Ströhlein schrieb in konkret 5/24 über das Buch Der Judenhass von Sebastian Voigt