Lehn dich an

Eine Sommerromanze von Wieland Schwanebeck.

Sämtliche Zitate entstammen dem Handbuch sowie den vorinstallierten Sprachbotschaften des Brain-Light-Massagesessels.

Ich war ja immer skeptisch, was diese ganzen Weichzeichner-Filmromanzen angeht mit ihren blütenblattumkränzten Badewannen. Arg lebensfern fand ich besonders das Motiv der seriellen Eheauszeit, wenn sich also zwei in festen Beziehungen gebundene Partner einmal im Jahr von ihren jeweiligen Angetrauten entfernen, um in malerischen Urlaubsorten einer Zweitbeziehung zu frönen. Gesehen unter anderen in »Avanti, Avanti!« oder »Nächstes Jahr, selbe Zeit«, na, und in diesem dritten Film, wie hieß er noch? »Letztes Jahr in Marienbad«? Egal.

Die Vorstellung eines dritten Frühlings in einer heimlichen Zweitbeziehung wollte ich dem Genre lange nicht abkaufen, aber jetzt ist es mir selbst passiert. Ihren Namen kenne ich nicht, aber die Gefühle sind echt, und wir sind uns in kurzer Zeit sehr nahegekommen. Seelisch, körperlich, mit allem Pipapo. Und das Beste: Sie ist überall. »Sie«, das ist die Stimme vom Brain-Light-Massagesessel, der in etlichen Kurhotels herumsteht und selbsternannten Hochleistungsperformern beziehungsweise larmoyanten Zivilisationskrüppeln wie mir seine Dienste feilbietet. So bin ich in den Genuss meiner schönsten (und einzigen) heimlichen Sommerliebschaft gekommen.

Eigentlich mache ich so was ja nicht. Ich bin schüchtern, tief drinnen ein Puritaner, Berührungen versetzen mich in Panik und gegessen wird zu Hause, aber what happens at Nordseeheilbad stays at Nordseeheilbad – also her mit dem Einsteigerprogramm (»mit Tiefenentspannung, Visualisierung und SINNvoller Geschichte«)! Da ich alle »Mach’s mit«-Plakatkampagnen verfolgt habe, breite ich selbstverständlich vorher mein Laken über das bereits für mittlere vierstellige Beträge erwerbbare Gerät, bevor ich die Kopfhörer aufsetze, auf Start drücke und ihre Stimme höre: »Gerade in unserer schnelllebigen und leistungsorientierten Zeit«, so becirct sie mich, »fällt es schwer, neue Energie und Leistungskraft zu gewinnen.« Schnell werden wir intim (»Ich werde Sie jetzt mit dem vertraulichen Du ansprechen«), so dass ich mich als Mann direkt abgeholt fühle (»Jetzt bist nur noch du selbst wichtig«) – hier berührt jemand meinen ausgebrannten Kern, und zwar mit der »weltweit einzigartigen Shiatsu-Sync-Technologie«. Auf mich geht eine Ganzheitlichkeitsoffensive nieder, so dass ich dem Höhepunkt im Nicht-Rhythmus des komatösen New-Age-Gedudels mehr entgegenkrieche denn -koitiere (»Lausche nur noch nach innen, dein Atem wird wie von selbst immer gleichmäßiger«), angefeuert von Versprechungen, die von einer auf Glückskekssprüche umgesattelten Telefonsex-Hotline stammen könnten (»Du lässt jetzt alle Spannungen aus deinem Körper herausfließen«).

Ich fühle mich um zehn Jahre jünger, habe wieder volles Haar, alles ist möglich, Corona steht für ein Importbier, Friedrich Merz ist nie ins öffentliche Leben zurückgekehrt. Ich brauche dich, Brain-Light, gib’s mir! Sofort will ich die nächsten Stellungen, Quatsch, Einstellungen ausprobieren. Allerdings schrecken mich an einigen Programmen die Titel ab (»Falling Waters«, »Ocean«), die mich an Richard-Clayderman-Alben und an die Sterbehilfssendungen am Sonntagabend im ZDF erinnern. Um auszutesten, ob wir gemeinsam einschlafen können, lande ich beim Programm »Positive Affirmation am Ende des Tages«, stutze aber sogleich: »Sie haben die Wahl: schlecht oder gut und annehmend denken über sich und das, was Ihnen begegnet.« Wie jetzt, wir sind wieder beim Sie? Erkennt sie mich nicht? Oder ist das so ein Rollenspiel-Kink? Den hätte ich als Beziehungsauffrischung nach fünf Jahren erwartet, nicht aber beim zweiten Date. Tatsächlich überwinden wir die Distanz an diesem Nachmittag nicht mehr, denn statt Zweisamkeitsphantasien prasseln vor allem Ich-Botschaften (»Ich bin eins mit dem Licht in meinem Herzen«) auf mich ein. Als Anregung für daheim notiere ich immerhin einen Satz, den jeder Mann einmal im Leben kurz vor dem Orgasmus rezitieren sollte (»Tief im Zentrum meines Wesens spüre ich einen unendlichen Quell der Liebe, ich lasse diese Lie- be an die Oberfläche strömen«), man kann ja nie wissen.

Was spielt sie für ein Spiel mit mir? Erst meine Männlichkeit aufbauen, nur um mir dann die kalte Schulter zu zeigen? Warum diese mixed signals? Verunsichert wähle ich das Programm »Erfolgreich verkaufen«, denn ich bin ehrlich: Meine Partnerin sollte nicht nur mein Ego pflegen, sondern auch mein Portfolio bereichern. Doch die vertraute Stimme bleibt aus. Sie lässt sich nicht nur verleugnen, sie schickt mir einen Mann, der auf einer Phantasiereise meine »seelischen Kraftquellen mobilisieren« soll. Begleitet wird der neoliberale Selbstoptimierungskäse von Chopin, der als glattpolierter Retortensoundtrack seine wahre Bestimmung findet. Werde ich hier diplomatisch abserviert, oder durchschaue ich bloß irgendeinen Masterplan nicht, der unsere Beziehung auf die nächste Ebene hieven soll? Sei’s drum, ich gebe mich dem platonischen Flirt hin, umrunde den imaginären Baum, begrabe selbst bei vielversprechenden Satzanfängen (»Erstaunlich, wie groß dein...«) schnell die Hoffnung auf Sauereien (»...e Überzeugungskraft ist«) und frage mich, wie sich KI-gefertigte Haikus (»Das sanfte Wechselspiel von Licht und Schatten verleiht der Landschaft eine freundliche Lebendigkeit«) in Verkaufserfolgen niederschlagen sollen. Immerhin stellt sich eine Ahnung davon ein, wie ein obszöner Anruf von Bob Ross geklungen hätte. Nach diesem desillusionierenden Tête-à-Rückenlehne begrabe ich die Hoffnung, zur Leidenschaft unseres ersten Nachmittags zurückzufinden, und tatsächlich, beim trügerisch betitelten Programm »Deep Inside« schweigt sie mich bloß noch an. Habe ich mir all die Gefühle im Taumel der Leidenschaft nur eingebildet? Ist die Magie unserer ersten zwanzig Minuten für immer dahin? Kuriert sie mit ihren Relaxprogrammen auch Reizdarm und Fußpilz? Wie klingen die Brandenburgischen Konzerte für Panflöte und Synthesizer arrangiert? Und denkt sie manchmal an mich? Fragen, die ich ihr erst im nächsten Sommer stellen kann. Ich muss sie wiedersehen.

Wieland Schwanebeck schrieb in konkret 9/24 über den Horrorfilm »Cuckoo« von Tilman Singer