VON 10/24

»Man soll die Feste fallen lassen, wie man sie feiern will«, hatte Hermann L. Gremliza anlässlich des dreißigsten Geburtstags der neuen konkret 2004 geschrieben:

konkret, als Zeitschrift für Politik und Kultur Mitte der Fünfziger von jungen, verbotenen Kommunisten gegründet, dann von einem vorübergehend zum Nationalkommunisten konvertierten Hitlerjungen usurpiert und in den besten Jahren von den Kolumnen der Ulrike Meinhof geprägt, war im November 1973 in Konkurs gegangen. Die nächste Ausgabe der Zeitschrift erschien im Oktober 1974 im Neuen konkret Verlag. Dessen Gründer ist seit dreißig Jahren Herausgeber der ältesten und am weitesten verbreiteten linksradikalen Zeitschrift in Deutschland, die, wenn kein Weltuntergang dazwischenkommt, in drei Jahren fünfzig wird.

Um drei Jahre nach dem Dreißigsten den Fünfzigsten feiern zu können, reicht das bisschen funktionale Diskalkulie, mit der heute aus Kriminalstatistiken Sicherheitsprobleme hergeleitet werden, nicht. Es sind zwei Geburtstage beziehungsweise zwei Gründungsdaten vonnöten, zwei linke Blätter und ein Konkurs.

Die neue konkret hatte Gremliza 1974 nicht nur aus der Konkursmasse, sondern auch davor gerettet, ein beliebiges Printprodukt zu werden. Doch auch dieses Blatt hat, so lässt es sich in Dietmar Daths Liebeserklärung an die Zeitschrift und seinen langjährigen Herausgeber (Seite 41) entnehmen, in Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungen über die Jahrzehnte rasant radikalisiert. Die auf der aktuellen Titelseite aufgestellte Behauptung »50 Jahre gegen Deutschland« etwa schönt die Geschichte selbst dieses Blattes, in dem bis 1989 Sätze wie diese erscheinen konnten:

Die bundesdeutsche Linke ist, von ein paar Idioten abgesehen, antifaschistisch und steht an der Seite der Opfer von Auschwitz und Treblinka. Deshalb hat sie so lange gebraucht zu begreifen, daß der Staat Israel nicht nur ein Ort ist, an dem Juden endlich frei von der Angst vor Pogromen leben können, sondern leider zugleich ein Außenposten der westlichen, ausbeutenden Welt mitten in einem Teil der ausgebeuteten. Israel ist auch das staatsförmige Eingreifkommando der USA im Nahen Osten. Einen Staat, der diese Rolle mit aller Gewalt spielt, kann Carstens (SA) verteidigen, nicht aber eine Linke, die sich ernst nimmt. 

Anlässlich des echten Fuffzigers, den konkret jetzt begeht, haben sich einige langjährige Autorinnen und Autoren an einer Jubiläumsumfrage beteiligt (Seite 42), und Georg Fülberth zeichnet noch einmal die Stationen nach, die die Zeitschrift durchlaufen hat, und attestiert ihr ab 1990 einen »Realismus der radikalen Negation« (Seite 40).

Bei allen politischen und personellen Veränderungen ist konkret bis heute die wichtigste linke Publikumszeitschrift Deutschlands geblieben - zersetzend und sektiererisch, sich übend in »Streit, Kampf, Renitenz, Kritik, Widerspruch, Miesmachen und Besserwissen«. In ihr erscheint »Abwegiges, Skurriles, Provokatives«, und sie ist für Auf- und Erbauendes nicht zu haben. Auch angesichts der Größe des sozialen Elends lässt sie sich zu sozialdemokratischen Verbesserungsvorschlägen nicht hinreissen, die ja doch in Arbeiterverrat und Affirmation enden müssen. Auf die Frage des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Österreichs, Walter Baier, was die Aufgabe der linken Bewegung sei, antwortete der konkret-Herausgeber 2004: 

Den Autor zu finden, der die Welt nach dem vorläufigen Endsieg des Kapitalismus auf den Begriff bringt … Bis dahin genügt zu wissen, »was nicht tun«: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, immer noch, aber auch nie wieder »breites antikapitalistisches Bündnis«, nie wieder Sozialneid statt Sozialismus, nie wieder billigende Inkaufnahme völkischer Ressentiments, nie wieder Antisemitismus, auch wenn er Antizionismus heißt.

All das gilt - selbst wenn heute Faschismus und Weltkrieg, deren unmittelbares Bevorstehen zu prophezeien stets zur Geschäftsgrundlage von konkret gehörte, die Linke zu Bündnisse zu drängen scheinen mit jenem kleineren Übel, das sich auch diesmal als das größere herausstellen wird. 

Zum fünfzigsten Geburtstag der Zeitschrift erscheinen nun endlich die angekündigten ersten beiden Bände der Gesammelten Schriften Hermann L. Gremlizas. Wegen ihres Umfangs (zusammen 1.030 Seiten) und ihrer aufwendigen Gestaltung hatte sich ihre Fertigstellung verzögert. Aber nun sind sie in der Druckerei. Einzelheiten zum Charakter der Ausgabe und den Modalitäten ihrer Bestellung entnehmen Sie bitte der beiliegenden Faltkarte.

»Die grellsten Erfindungen sind Zitate«, schrieb Karl Kraus über Die letzten Tage der Menschheit, seiner Tragödie über den Ersten Weltkrieg. Angesichts einer Wirklichkeit, die das Stilmittel der Übertreibung unmöglich gemacht hat, bleibt dem Satiriker nur das Zitat. Entsprechend wird die Heftrubrik »Der letzte Dreck« künftig eine weitgehend unkommentierte Zusammenstellung von Beiträgen bieten, die die medialen Madenhacker des Kapitals zur gesellschaftlichen Verrohung und Verblödung leisten.    

Im Verlag Kunstmann ist der neue Lyrikband des konkret-Hausdichters Thomas Gsella - Hereimspaziert - erschienen. Die darin versammelten Gedichte sind weniger politisch als seine konkret-Gedichtkolumnen und widmen sich, so der Verlag, den »großen Themen der Menschheit« Es gehe um »Rausch und Liebe, Schuld und Sühne, Fußball und Zölibat, die Schokoladenseiten des Hundes, die Schattenseiten des Orgasmus, den Überfluss an April, den Mangel an Brückentagen, das seltsame Ruhrgebiet, das hässliche Autohupen, Musks bezaubernden Cybertruck sowie die ewige Grundfrage: Bier oder Wein?«