Vormarsch der Verrückten

Der rechte Flügel des Silicon Valley schlägt sich auf die Seite des Kandidaten Trump, aber der linksliberale ist auch nicht besser. Die Klassenposition haben sie gemeinsam. Von Dietmar Dath

Herrschende Klassen aller Räume und Zeiten setzen sich aus Gruselpersonal zusammen; das gilt stets, der Job verlangt’s. Was aber als Digitalbranchenkapital derzeit von den USA aus die Menschheit neu zu formatieren sucht, ist von besonderer Abscheulichkeit. Man kapiert das nicht erst bei der Lektüre der Ausschleimungen des Algorithmen-Mittelständlers und faschistischen Amateurphilosophen Curtis Yarvin alias Mencius Moldbug, den Donald Trumps designierter Vizepräsident J. D. Vance einen »persönlichen Freund« nennt. 

Yarvin hat sich ein politisches Verwaltungsmodell namens »Neokameralismus« ausgedacht, das den Staat als Unternehmen definiert, welches ein Land besitzt (das Schönste wäre für Yarvin gleich ein homogener Ethnostaat, man spart sich so Kulturkämpfe und Integrationsdienstleistungen). Mit dieser Scheiße spricht der Mann bloß besonders deutlich aus, was wohl auch in den Köpfen von Elon Musk oder Peter Thiel (Mitgründer des Online-Bezahldienstes Paypal) brodeln dürfte. Bill Gates von Microsoft, Tim Cook von Apple, Mark Zuckerberg von Meta oder Sundai Pichai von Google inszenieren sich weniger gern als Fürsten, halten damit aber auch nur ungefähr die Distanz zu Yarvin, die Preußens Friedrich II. von Dracula getrennt hat. 

Das mehr oder weniger fokussierte Machtbewusstsein dieser Gestalten ist kein Größenwahn. Die Kombination auch nur der zwei dicksten der genannten Unternehmen (was in der Ära des Monopolkapitals, dessen bewegliche Eingreiftruppe das Wagniskapital darstellt, nicht undenkbar ist, fusioniert und übernommen wird da ja gern), nämlich Meta und Google, hätte bereits eine Marktpotenz, die man nicht einmal erreichen könnte, wenn man die Vereinigungsmenge aus den fünf größten Werbefirmen der Welt samt fünf ausgesuchten Medienriesen plus fünf Telekommunikationsgiganten bilden würde. Was diese wirtschaftlichen Größenverhältnisse politisch bedeuten, steht in der detailliert belegten Abhandlung The New Entrepreneurial Advocacy. Silicon Valley Elites in American Politics der beiden Politikwissenschaftler Darren R. Halpin und Anthony J. Nownes, erschienen im Jahr 2021, aber den dort aufgeschlüsselten Tabellen fehlt naturgemäß die Anschaulichkeit.

Will man also außerdem wissen, was das denn nun für eine Elite ist, die da vor etwa dreißig Jahren aus dem Laufställchen des frühen Internet-Durcheinanders ausbrach und jetzt den Planeten erobern will, sollte man einen Blick ins Burn Book der Tech-Journalistin Kara Swisher werfen, erschienen im März. Der Band ist eine Bilanz von drei Jahrzehnten Berichterstattung aus dem Business, ein Mosaik aus Anekdoten. So berichtet Swisher vom verstorbenen Start-up-Multimillionär Tony Hsieh, der seine beiden besten Ideen an Microsoft und Amazon verkauft hat, er sei fest davon überzeugt gewesen, die Erfahrungswirklichkeit sei eine Simulation. »Unter Techies«, also Leuten wie Gates, Zuckerberg, Cook und so fort, sei das laut Swisher »keine abseitige Diskussion«, sondern ein »coping mechanism«, eine Art und Weise, mit der dieser Menschenschlag seine ökonomisch-soziopolitische Situation (Klartext: seine Klassenlage) kognitiv bewältigt. Swisher erzählt, sie habe Hsieh nach seinem Bekenntnis zum tiefgreifenden Wirklichkeitszweifel ins Gesicht gelacht, aber er sei nicht davon abzubringen gewesen und habe erwidert: »I’m serious. This is not real. We are not real.« Leute, die so denken, dürfen nicht nur wählen, sondern finanzieren das Angebot dessen, was zur Wahl steht.

Swishers Kollege Corey Pein wiederum hat den Bericht eines Spitzenspinners namens Tom Chi von dessen Einstand bei Google weitergegeben. Chi war während seiner Zeit bei diesem Konzern kein kleines Licht, sondern gehörte dort unter anderem zu den Verantwortlichen einer speziellen Forschungsabteilung namens »Google X« und erfand einen ersten Datenbrillen-Prototypen. Sein erster Tag, wie Pein ihn darstellt, konfrontierte Chi mit einem Dokument, das ihm die damaligen Google-Bosse Larry Page und Sergey Brin überreichten; es enthielt eine einzige Aufgabenstellung: »What would it take to get Google inside your brain?« Die Lust daran, den Leuten Ramsch in die Hirne zu drücken, ist die Kehrseite der eigenen mangelnden Realitätstüchtigkeit, und wer so drauf ist, eignet sich bestens, neue Produktionsmittel, die von Militär und staatlicher Großforschung auf Rechnung der Allgemeinheit produziert wurden (der PC und das Internet sind nicht privatwirtschaftlichen Ursprungs, sondern öffentlich finanziert und dann kapitalistisch angeeignet worden), den Besitzlosen vorzuenthalten und sie gegen deren Interessen zu kehren.

Die Trennung der meisten Menschen von den produktiven Potenzen, die sie selbst herstellen, genau wie Bedarfsgüter, bleibt das Wesen des Kapitalverhältnisses noch im schrillsten Imperialismus. Der Management-Pöbel von Silicon Valley ist nicht zum Lenken oder irgendwelcher Innovationen halber da, sondern um diese Trennung zu organisieren und zu festigen, also einfach »zur Verteidigung der propriété«, wie Marx im Kapitel über die »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« im Kapital finster lacht. Die Regierungsweise, die dazu passt, agiert binnenstaatlich repressiv und im Weltmaßstab räuberisch. Jedes Monopol ist eine Gewalteinrichtung. So funktioniert auch das Zusammenspiel aus Digitalisierung, Finanzialisierung und Militarisierung, bis hinunter zu geschmacklosen Fußnoten wie dem kleinen Aufsatz »Welt im Wandel. In Fragen der Rüstungsforschung müssen die Staaten in Europa umdenken«, den der ehemalige IBM-Hardware-Entwickler Wolfgang Maier der Juli-Ausgabe des offiziellen Organs der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, »Physik Journal«, als Meinungsaufmacher geschenkt hat: »Es ist notwendig, die spürbare Tabuisierung der militärischen Forschung zu überdenken«, lehrt er da, nicht nur zu Ehren »unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier«, sondern auch, damit die Wissenschaft »in der Mitte unserer Gesellschaft« nach Gebühr »Anerkennung und Förderung« erfährt. Zusammenarbeiten sollen deshalb »Regierungen, Institutionen und Forschende«, auf dass die Letztgenannten als Mordende zu neuen Ehren kommen. 

Macht nur so weiter, das Ende solchen Wandels ist ja absehbar: ein Thron für Verrückte aus den Knochen der Verreckten.

Dietmar Dath schrieb in konkret 3/24 einen Brief aus der Zukunft über den Faschismus der Gegenwart