Deutsche Glaubenslehre

Gerhard Henschel über das Buch Antisemitismus und Ambivalenz von Uta Grundman

Als Angehöriger des Jahrgangs 1906 brachte der protestantische Theologe Walter Grundmann ein typisches deutsches Akademikerleben hinter sich. Er trat im Dezember 1931 in die NSDAP ein, stellte 1933 in einem Vortrag an der Universität Tübingen klar, dass der deutsche Volkskörper die »unheimliche Krankheit« des Judentums überwinden müsse, um gesunden zu können, wurde im Juli 1933 zum »Schriftleiter« der Monatszeitschrift »Christentum und Hakenkreuz« ernannt, verbreitete sich 1939 bei der feierlichen Eröffnung des Eisenacher »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« über die »Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche«, gab im selben Jahr bekannt, dass sich »zwischen den rassebewußten Nationen und dem Weltjudentum« ein »Weltkampf« vollziehe, sagte den Juden auch in seiner 1942 erschienenen Schrift Das religiöse Gesicht des Judentums noch einmal den Kampf an (»Der Jude muß als feindlicher und schädlicher Fremder betrachtet werden und von jeder Einflußnahme ausgeschaltet werden«) und entdeckte nach Kriegsende plötzlich den Antifaschisten in sich: In den Augen der Nazis, schrieb er in einer seiner Selbstrechtfertigungen, habe er »als einer der gefährlichsten Leute« gegolten.

Die Psychologin und Kunsthistorikerin Uta Grundman, seine Enkelin, hat in ihrem Buch Antisemitismus und Ambivalenz auch die Karrierestationen ihres Großvaters in der DDR aufgelistet: »Im August 1949 übernahm Grundmann wieder ein Pfarramt und bereits 1954 wurde er vom damaligen Bischof Moritz Mitzenheim, einem ehemaligen führenden Mitglied der Bekennenden Kirche, mit der Leitung des Katechetischen Seminars auf dem Hainstein in Eisenach beauftragt. Bis zu seiner Emeritierung 1972 unterrichtete er angehende Kirchenmusiker und Pastoren in Eisenach und dozierte bis 1970 am Theologischen Seminar der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR in Leipzig.« Und um das Maß vollzumachen, diente Grundmann sich der Stasi als Spitzel an.

Die Autorin unterzieht ihren Großvater einer ausgiebigen Psychoanalyse, die nur eine Frage offenlässt: Ist das alles nicht zuviel der Ehre für einen schmierigen und verlogenen Opportunisten?

Uta Grundman: Antisemitismus und Ambivalenz. Walter Grundmann und die »Entjudung« des Christentums. Wallstein, Göttingen 2024, 419 Seiten, 44 Euro