Analphabeten für Deutschland

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die »beliebteste Partei Deutschlands« als »gesichert rechtsextrem« eingestuft. Von Bernhard Torsch

Während die üblichen Propagandatruppen der deutschen Bourgeoisie von »FAZ« und »Welt« ausritten, um die AfD gegen den Verfassungsschutz in Schutz zu nehmen (»Welt«: »Die Mehrheit der AfD-Mitglieder ist nicht rechtsextrem«; »FAZ«: »Sollen wir nur glauben, aber nicht wissen, dass die AfD eine rechtsextremistische Bestrebung ist? Der Geheimdienst muss seine Gründe offenlegen.«), hätten diese sich gar keine so großen Sorgen um ihre Partei gewordene Schutzmauer gegen eventuell aufmüpfig werdende Proleten machen müssen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ruderte nämlich schon Anfang Mai wieder über den halben See zurück und gab bekannt, es werde die AfD nicht mehr als »gesichert rechtsextrem« bezeichnen und auch alle mit dieser Bezeichnung einhergehenden Überwachungsmaßnahmen einstellen, bis ein Gericht die Einschätzung des BfV bestätigen oder verwerfen werde.

Das heißt auch, die ohnehin nur theoretischen, weil den Wünschen einflussreicher Kapitalfraktionen zuwiderlaufenden Chancen auf ein Verbot der AfD sind für die nächsten Jahre vom Tisch, denn solche Gerichtsverfahren pflegen sich in die Länge zu ziehen, und ohne den Segen der Gerichte mag sich die deutsche Politik nur dann zu Parteiverboten aufraffen, wenn diese Parteien kommunistisch sind. Seit 2021 schon klagt sich die AfD durch die Instanzen, um die damalige Einschätzung des BfV, die Partei sei ein »rechtsextremer Verdachtsfall«, vom Tisch zu bekommen, und immer noch ist die Sache nicht rechtskräftig entschieden.

Das BfV hatte nicht weniger als 1.108 Seiten Material zusammengetragen. Das Parteiprogramm und andere Grundsatzpapiere dienten hierbei ebenso als Quellen wie Wahlkampfreden, Interviews und Social-Media-Posts einzelner AfD-Politker/innen. Der Zeitraum dieser intensiven Beobachtung erstreckt sich über drei Jahre, wobei in den Endbericht auch frühere Dokumente des Verfassungsschutzes einflossen. Im einzelnen wurden die Aussagen von 353 Politikern der AfD in den Bericht ebenso aufgenommen wie Papiere und Stellungnahmen von mehr als hundert AfD-Teilorganisationen. Es scheint so, als hätte das BfV sich bemüht, einen wasserdichten Bericht zu verfassen. Ob das nur so aussieht oder doch juristische Angriffsflächen für die Parteianwälte der AfD und für eventuell mit der AfD sympathisierende Richter eingebaut sind, kann nur wissen, wer den ganzen Bericht gelesen und juristisch verstanden hat und darüber hinaus das esoterische Wissen um die politischen Neigungen aller künftig damit befassten Juristen besitzt.

Die deutsche Öffentlichkeit macht derweil deutsche Sachen. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wollte am 6. Mai in einer Talkshow mit dem hinterfotzigen Hufeisentheorie-Titel »Wie umgehen mit AfD und Linke?« auf »Welt TV« von einem Verbotsverfahren gegen die AfD nichts wissen. Die vorliegenden Fakten seien für ein Verbot nicht ausreichend, relativierte Linnemann 1.108 Seiten dokumentierter rassistischer und antidemokratischer Hetze, und schob nach, solch ein Verbotsverfahren wäre »politisch hochgradig gefährlich«. Warum? Erstens könnten die Gerichte ein Verbot ja ablehnen, was der AfD dann auf eine von Linnemann nicht erklärte Weise nützen könnte. Zweitens, und hier müssen wir das Linnemannisch ins Deutsche zu übersetzen versuchen, hätten im Falle eines erfolgreichen Parteiverbots zehn Millionen AfD-Wähler keine »politische Heimat« mehr und müssten sich daher eine neue suchen. Was von all dem gegen ein Verbot der AfD spricht, außer Linnemanns Wunsch, diese Partei solle der Union als mögliche Koalitionspartnerin erhalten bleiben, weiß allein der liebe Gott.

Da wir gerade von einem höh’ren Wesen sprechen: Am 2. Mai beglückte der an jenem Tag Gerade-noch-Bundeskanzler Olaf Scholz den Evangelischen Kirchentag in Hannover und warnte in Bezug auf ein Verbot der AfD vor einem »Schnellschuss«. Wichtiger als rasches Handeln sei nun, dass die »vielen Seiten von vielen gelesen werden«, sprach Scholz, als hätte ihn der Geist der Deutschen Christen überkommen. Andere Teile der SPD, etwa die Frankfurter Stadtorganisation, sind hingegen sehr wohl für ein rasch eingeleitetes Verbotsverfahren gegen die AfD. Immerhin wollten die Parlamentsfraktionen von Union und SPD in Zukunft keine AfD-Abgeordneten mehr zu Ausschussvorsitzenden wählen. Friedrich Merz bezeichnete solche Bestellungen als »unvorstellbar«, der SPD-Bundesvorsitzende und Neo-Finanzminister Lars Klingbeil versprach, er würde »niemandem von uns, egal in welcher Funktion, empfehlen, für die AfD zu stimmen«.

Stellungnahmen zur Einstufung der AfD als »gesichert rechtsextrem« kamen natürlich auch aus dem Ausland. US-Außenminister Marco Rubio postete auf X, der Plattform des AfD-Fans und Hitler-Grüßers Elon Musk: »Das ist nicht Demokratie, das ist Tyrannei in Verkleidung.« US-Vizekanzler JD Vance schob nach: »Die AfD ist die beliebteste Partei Deutschlands. Nun wollen die Bürokraten sie zerstören.« Aus Russland eilte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow seinen in Schwierigkeiten geratenen deutschen Freunden verbal zu Hilfe und sagte, die Einschätzung des Verfassungsschutzes sei »eine restriktive Maßnahme gegen eine Partei, die nicht mit dem dominanten Mainstream übereinstimmt«.

Und was sagt die AfD selbst? Björn Höcke, gerichtlich bestätigter Faschist, postete auf X die Drohung, die Mitarbeiter/innen des Verfassungsschutzes sollten sich schon mal nach neuen Jobs umsehen, denn »am Ende wird es wie immer in der Geschichte heißen: Mitgehangen – mitgefangen.« Dass es noch nie in der Geschichte so hieß, sondern immer »mitgefangen, mitgehangen«, also wieder einmal einer der Ober-Deutschen kein Deutsch kann, ist eine hübsche Nebenpointe dieser Farce, überrascht bei den Analphabeten für Deutschland aber nicht mehr.

Bernhard Torsch schrieb in konkret 3/25 über Herbert Kickl