I love Putin

Aus konkret 6/15: Gremlizas Kolumne über Putins Russland und den »Freien Westen«

Welcher Teufel muss einen Kommunisten, einen Freund aller Revolution und jeder normwidrigen Abweichung reiten, einen antikommunistischen, homophoben Autokraten von Woche zu Woche besser zu verstehen? Kürzer gefragt: Was geht mich der Wladimir Putin an? Kurz gesagt: dass die Überlebenschance heute bei Cholera größer ist als bei der Pest. Deren Hauch weht – wie das zwanzigste Jahrhundert lang so am Beginn des einundzwanzigsten – von Berlin aus, von einem Deutschtum, das sich »nach alter Usance bedroht fühlt, sobald es in Land- und Weltbedrohung gehemmt wird« (Karl Kraus 1933). Putin mag sich so viel Mühe geben, wie er will, Wladimir der Schreckliche zu sein – mit den Merkels, Steinmeiers und Görings nimmt er’s nicht auf.

Und weil er’s mit ihnen nicht aufnimmt, hat er’s gegen sie aufgenommen, im letzten Moment, den die Geschichte ihm ließ, Deutschlands dritten, friedlich genannten Versuch der Aneignung Osteuropas, der »wirtschaftlichen Ergänzungsräume«, in denen – von Merkels Rechtsvorgängern so genannte – »Hilfsvölker« leben, die Stirn zu bieten.

Putin ähnelt nach Charakter und Lage, in der er sich befindet, dem österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß, einem Politiker, den die parlamentarische Linke, die er nach Haus geschickt hatte, nicht ohne Grund einen Diktator nannte, der jedoch, als die österreichischen Sozis noch über den rechten Zeitpunkt eines wünschenswerten Anschlusses an das Deutsche Reich disputierten, sein Land gegen den Anschluss an das braune Reich verteidigte bis in den Tod.

Es ist das bestgehütete Geheimnis der Kolonialmächte, die sich »der Freie Westen« nennen: dass der Frieden in Europa vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende der Sowjetunion nicht ihnen zu verdanken war, die es gern anders gehabt hätten, sondern allein den Atomwaffen der Roten Armee. Noch zehn Jahre nach der sowjetischen Kapitulation haben die Deutschen, die USA und ihre Verbündeten fast ängstlich abgewartet, ob die Russen sich – trotz Gorbatschows und Jelzins Unterwerfung – auf ihr Arsenal und dessen politische Potenz besinnen würden. Erst als gewiss schien, dass es nicht zu fürchten sei, riskierten sie ihren Krieg zur Zerstörung Jugoslawiens.

Was ihnen dort gelang, ist ihnen, Putin sei Dank, später in Georgien und jetzt in der Ukraine nicht mehr gelungen. Ihr Bündnis mit den Erben der dortigen SS-Kollaborateure stolpert seither von Kalamität zu Kalamität. Die Krim, zuvor auch von Russland anerkannter Teil der Ukraine, ist jetzt Teil Russlands und wird es bleiben. Und wenn die Steinmeiers und Kerrys nicht bald zur Räson kommen, wird es im Fall der Ostukraine nicht anders gehen.

Dass der russische Präsident nicht gewartet hat, bis sie ihm das, was sie in Berlin Zeitfenster nennen, vor der Nase zuschlagen konnten – dafür hassen sie ihn, mobilisieren sie gegen den Antikommunisten denselben Hass, dasselbe Personal, dieselben Phrasen, die sie siebzig Jahre lang gegen die Kommunisten mobilisiert hatten. Wer liest und hört, wie der deutsche Leitartikel (von dem sich, wie von der Talkshow, nur noch im Singular reden lässt) mit Russland verfährt, muss glauben, im Kreml sei der Josef Wissarionowitsch auferstanden.

Gegen den Widergänger Stalins ist natürlich alles erlaubt. Als über der östlichen Ukraine der Flug MH17 endete und niemand wissen konnte, wer die Maschine zum Absturz gebracht hatte, kreischte das Deutschland-Magazin »Spiegel« auf der Titelseite: »Stoppt Putin jetzt!«. Seit Monaten untersucht eine Kommission aus dem Nato-Staat Niederlande den Absturz, ohne ein den Berlinern genehmes Ergebnis liefern zu können. Daraus ließen sich manche mehr oder weniger wohl- und übelwollende Vermutungen ableiten, zum Beispiel die, dass die Tat nicht von den »Separatisten« verübt, sondern von den dort marodierenden, von der CIA und amerikanischen Privatkillern angeleiteten Milizen inszeniert wurde. Erweislich wahr ist bis heute (15. Mai 2015) nur, dass man nichts weiß.

Man weiß nichts? Von wegen: »Inzwischen wissen wir«, stottert der allseits geschätzte Medienkasper Karasek und wird mit diesem Dreck gedruckt, »dass bei den russischen Separatisten der Ukraine kein Spatz vom Himmel fällt, ohne dass Putin und seine Militärs es nicht (!) anordnen.« Wir Wissenden – das sind die Deutschen, die Mehrwertegemeinschaft und ihre Schmiermichel. Vergeblich wartete man nach dem Absturz des Airbus von Germanwings auf neue Sanktionen gegen Russland. Doch die Zeit zwischen dem Einschlag und den ersten Meldungen über die Rolle des Kopiloten war wohl zu knapp. Dafür kommt, was die »toten Helden vom Majdan« betrifft, peu à peu eine Wahrheit heraus, die für die Ritter der Propagandakompanie eine schmerzliche zu werden verspricht. Kiews Premier Jazenjuk geht schon mal in Deckung: Bei den Ermittlungen zu den tödlichen Schüssen auf dem Majdan-Platz im Februar 2014 habe »der frühere Oberstaatsanwalt große Fehler gemacht«. Das kann nur bedeuten, dass die Regierung der Ukraine die Version, der damalige Präsident Janukowitsch habe die Schüsse befohlen, nicht durchhalten kann, und richtig so ziemlich das Gegenteil ist.

Jazenjuks halbes Geständnis wird einmal gemeldet und nie wieder erwähnt. Journalismus war nie, wofür sie ihn ausgaben, aber jetzt können sie nur noch schiere Propaganda: »Spiegel Online« berichtet von einem Gesetz der griechischen Syriza-Regierung, das mittelständischen Unternehmen die Steuerschulden erlässt. Zu den Tausenden »von den Fesseln der Schulden befreiten« Firmen gehöre auch der griechische Fußballklub PAOK Saloniki. Dessen Besitzer sei ein Freund von Wladimir Putin. Wie lautet also des »Spiegels« Überschrift? Sie lautet: »Griechenland erlässt Fußballklub von Putin-Freund Steuerschulden.« Ich hab auch was zu melden: »Merkel erhöht Schröders Kindergeld.«

Das Lokalblatt meldet vom Treffen der Regierenden aus den sieben größten westlichen Industrienationen: »Front gegen Russland.« Die neue Ostfront. Der Führer ist jetzt Führerin, den Keitel macht der Steinmeier. Der Gottseibeiuns aber, in dessen Stadt, die jetzt Wolgograd heißt, seine Rote Armee den Deutschen ihr Vernichtungshandwerk legte, hat 1949 dafür gesorgt, dass seine Nachfolger im Kreml eine Waffe besitzen, sich eines neuen deutschen Angriffs zu erwehren. Anders als noch Gorbatschow, der Freund von Kohl und Luis Vuitton, ist Putin sich dessen bewusst. Ätsch! sagte der Weltgeist.

PS: Bleiben zwei Reste zu tragen schwer: Putins peinliche Kontakte zu einigen sehr rechten westlichen Parteien; und die Chuzpe der ganz normal rechten westlichen Politiker, die dem Feind moralische Vorhaltungen machen, während sie selber mit ukrainischen Nazi-Milizen kollaborieren.