Kriegsziel Rassestaat

Aus konkret 2/14: Die »westlich orientierte« Opposition der Ukraine hat historische Vorbilder: Es sind die Massenmörder, Pogromisten und Nazi-Gefolgsleute der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Von Erich Später

Am 25. Juni 1926 wurde in Paris auf den ehemaligen Regierungschef und Oberbefehlshaber der Armee der Ukrainischen Volksrepublik, Symon Petljura, ein Anschlag verübt. Der Attentäter Scholom Schwartzbard feuerte dreimal aus einer Pistole auf den ehemaligen Regierungschef und verwundete diesen tödlich.

Schwartzbard (1886–1938) wurde als Sohn jüdischer Eltern im russischen Smolensk geboren. Er schloß sich früh revolutionären Gruppen an und wurde 1909 wegen eines Bankraubs in Wien verhaftet und zu Zwangsarbeit verurteilt. Er konnte nach kurzer Haft fliehen und lebte seit 1910 als Uhrmacher in Paris. Während des Ersten Weltkriegs war er Soldat in der französischen Armee; 1917 wurde er wegen einer Verwundung demobilisiert. Nach dem Sturz des Zaren ging er zurück nach Rußland. Während des Bürgerkrieges kämpfte Schwartzbard auf seiten der Roten Armee in der Ukraine. Er kehrte 1920 nach Paris zurück und wurde 1925 eingebürgert. Seine Familie war während des Bürgerkriegs Opfer antijüdischer Massaker geworden – 15 seiner Familienangehörigen wurden ermordet. Dafür war in seinen Augen Symon Petljura politisch verantwortlich.

Nach dem mit der Russischen Sowjetrepublik im März 1918 geschlossenen Frieden von Brest-Litowsk hatten deutsche Truppen die Ukraine besetzt. Damit wurde die militärische und politische Macht Deutschlands entscheidend für die Gründung des ukrainischen Nationalstaats. Der jahrelange blutige Bürgerkrieg, der immer wieder durch ausländische Interventionen zugunsten der Konterrevolution angeheizt wurde, schuf einen militanten ukrainischen Nationalismus, der antirussisch und antijüdisch aufgeladen war. Mit der Niederlage Deutschlands im November 1918 und der Räumung der deutsch besetzten Gebiete in der Ukraine war die kurze Zeit einer »unabhängigen« Ukraine unter deutschem Protektorat vorbei. Ukrainische Nationalisten proklamierten sofort nach dem Abzug der deutschen Truppen eine Ukrainische Volksrepublik, die sehr schnell in heftige Kämpfe gegen die Rote Armee und die konterrevolutionäre großrussische Weiße Armee unter dem ehemaligen zaristischen General Denikin verwickelt wurde.

Für die heterogenen militärischen Verbände der ukrainischen Nationalisten, die ihre Soldaten vor allem aus der ukrainischen Landbevölkerung rekrutierten, war der antibolschewistische Kampf vor allem einer gegen die jüdische Bevölkerung. Der »jüdische Ausbeuter« und der »jüdische Bolschewist« verschmolzen zu einer mythischen Bedrohung, die verantwortlich für das Unglück der ukrainischen Bevölkerung gemacht wurde. Die bäuerliche Basis der ukrainischen Armee war daher auch weniger interessiert an der Schaffung eines unabhängigen Nationalstaats als vielmehr an der Verteidigung ihres durch die Agrarrevolution erworbenen Landes und der Ausplünderung und Drangsalierung der jüdischen Bevölkerung.

Die prosowjetischen Kräfte stützten sich in der Ukraine auf große Teile der russisch-ukrainischen und jüdischen Bevölkerung der Städte und auf die Industriearbeiter des Donezk-Beckens und der Ostukraine. Leo Trotzki formierte aus den Anhängern der Bolschewiki, zwangsrekrutierten Bauern und Resten der zaristischen Armee schlagkräftige Truppenverbände der Roten Armee, die sich in einem blutigen Krieg gegen konterrevolutionäre Weißgardisten, alliierte Interventionstruppen und bäuerliche Aufstandsbewegungen durchsetzen konnten.

Die Ukrainische Sowjetrepublik umfaßte im Rahmen der 1922 gegründeten UdSSR 443.000 Quadratkilometer mit 29 Millionen Einwohnern (1925), davon waren 80 Prozent Ukrainer, 9,2 Prozent Russen und 5,5 Prozent Juden. Der Rest der Bevölkerung verteilte sich auf andere ethnische Minderheiten. Hauptstadt war bis 1934 die Industriemetropole Charkow, dann folgte Kiew. Die 1924 festgelegten ukrainischen Grenzen haben im Norden und Osten nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 ihre Gültigkeit behalten.

Petljura, der sich in Erinnerung an die Kosakenführer des 17. und 18. Jahrhunderts als »Großataman« bezeichnete, wurde zum unumstrittenen Anführer der ukrainischen Nationalisten bis zu ihrer Niederlage im Jahr 1920. Mit dem Friedensschluß zwischen der Russischen Sowjetrepublik und Polen Ende 1920 war der Bürgerkrieg beendet. Eine unabhängige Ukraine schien auf absehbare Zeit nicht realisierbar. Zumal auch das 1918 wiedererstandene Polen die ehemals zum k.u.k.-Kaiserreich gehörenden westukrainischen Gebiete in Ostgalizien und das zum Zarenreich gehörende Wolhynien annektiert hatte.

Im Urteil der osteuropäischen Juden waren die ukrainische Nationalbewegung und ihre Regierung verantwortlich für eine Politik der Pogrome und Massenmorde, die nach verschiedenen Schätzungen zwischen fünfzig- und hunderttausend jüdische Opfer gefordert hatte. Petljuras Verteidiger betonen bis heute, daß der Nationalistenführer selbst kein Antisemit gewesen sei, es aber nicht gewagt habe, gegen den mörderischen Judenhaß großer Teile seiner Truppen vorzugehen, aus Angst, die Loyalität seiner Soldaten zu verlieren. Unter diesen besaß er allerdings hohes Ansehen, und während der Pogrome wurde »Es lebe Petljura!« gerufen. Erst im August 1919, nach Tausenden Toten und Verletzten, dekretierte er als Oberbefehlshaber der Armee, daß Pogromtäter vor Gericht zu stellen seien. Über die Umsetzung dieses Befehls ist nichts bekannt. Der Historiker Felix Schnell kommt zu dem Ergebnis, daß 40 Prozent aller Pogrome des russischen Bürgerkriegs auf das Konto der Petljura-Truppen und ihrer Verbündeten gehen.

Während des Prozesses sympathisierte die französische linke und republikanische Öffentlichkeit mit dem Angeklagten Schwartzbard. Auf Initiative des Journalisten Bernard Lecache konstituierte sich 1927 zudem eine Gruppe namhafter Unterstützer, darunter Albert Einstein, Tomás Masaryk, Romain Rolland, als »Ligue contre les Pogroms«. Das Gerichtsverfahren belegte mit Aussagen von über 150 Zeugen die Verwicklungen Petljuras in die Pogrome. Die Jury sprach den Angeklagten frei; das Gericht erkannte auf »Verbrechen aus Leidenschaft«, das als Reaktion auf die unter Petljuras Verantwortung begangenen Judenpogrome geschehen sei. Das ukrainische Exil war über den Freispruch einhellig empört. Die militanten nationalistischen Organisationen schworen Rache, und in den folgenden Jahren wurde Petljuras Todestag zum Vorwand für antijüdische Ausschreitungen und Morde.

In dem 1921 im lettischen Riga unterzeichneten Friedensvertrag zwischen Polen und der Russischen Sowjetrepublik erhielt die wiedererstandene polnische Republik große Gebiete aus der Konkursmasse des Zarenreichs. Die Grenze verlief aufgrund der polnischen militärischen Erfolge gegen die Rote Armee nun 250 Kilometer östlich der ursprünglich vom englischen Außenminister Lord Curzon entlang der Sprachengrenze gezogenen Linie. Die wichtigsten ukrainischen Siedlungsgebiete befanden sich im ehemaligen österreichischen Galizien und dem westlichen Wolhynien. Die Zahl der in Polen lebenden Ukrainer/innen wurde 1931 offiziell mit 4,4 Millionen angegeben, was 13,9 Prozent der Bevölkerung entsprach. Damit waren die Ukrainer vor den Juden und Weißrussen die größte ethnische Minderheit Polens; ihre große Mehrheit lebte unter prekären Bedingungen auf dem Land. Die in weiten Teilen rückständige Agrarwirtschaft beschäftigte in den zwanziger und dreißiger Jahren 63 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Weil eine Landreform und die Verteilung des Großgrundbesitzes 1918 kaum in Angriff genommen worden waren, bewirtschafteten die Besitzer der großen Güter knapp die Hälfte der Nutzfläche; mehr als 30 Prozent der Bauern bearbeiteten Zwergenhöfe von weniger als zwei Hektar Nutzfläche.

Auch Integration und Modernisierung der industriellen Basis der Region kamen nicht voran. Bis 1918 Bestandteil der nationalen Ökonomien der drei Teilungsmächte, fehlten ihr nun vor allem Schwer- und Konsumgüterindustrie. 1938 hatte Polen knapp den Produktionsstand des Jahres 1914 wieder erreicht, die Bevölkerung aber war von 27 auf 35 Millionen Menschen gewachsen. Die ökonomischen Probleme führten zu wachsender politischer Instabilität. Als parlamentarische Demokratie gegründet, entwickelte sich Polen zwischen den Jahren 1918 und 1939 zu einem autoritären Staat.

Aber nicht deswegen wurde Polen von den ukrainischen Nationalisten abgelehnt und erbittert bekämpft. Ihre Aktionen reichten vom Wahlboykott bis zu terroristischen Morden. Die 1920 gegründete Ukrainische Militärische Organisation (UVO) verübte Brandanschläge auf staatliche Gebäude und polnische Gutshöfe. Auch die Ermordung von Funktionären und Politikern gehörte zu den Kampfmitteln des ukrainischen Untergrunds.

1929 schloß sich die UVO in Wien mit anderen nationalistischen Gruppen zur Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) zusammen. Ihrer eigenen Definition zufolge bildete sie die nationale Elite und war befugt, den offenen Krieg vorzubereiten. Sie war nach konspirativen militärischen Grundsätzen organisiert und in einen Inlands- und einen Auslandsbereich gegliedert. Für die Ideologen der OUN bestand die ukrainische Nation seit Urzeiten, und sie wollten nun den ukrainischen Volkskörper vor Polen, Juden, Russen und »Volksverrätern «, das heißt gemäßigten Ukrainern, schützen. Der zu gründende ukrainische Nationalstaat sollte alle ethnischen Ukrainer umfassen und alle »Fremden« umbringen oder vertreiben. Bereits in den ersten Jahren nach ihrer Gründung war die OUN in der Lage, in weiten Teilen Galiziens unter der polnischen und jüdischen Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Ethnisierung der sozialen und politischen Widersprüche war besonders in Ostgalizien unter den ukrainischen Bauern erfolgreich, da dort oft Polen als Großgrundbesitzer über die ukrainischen Bauern herrschten.

Auch innerhalb der OUN selbst wurden politische Differenzen mit Gewalt ausgetragen. Als gefeierter Anführer konnte sich schließlich Stepan Bandera (1909–1959) durchsetzen. Er hatte sich schon früh den nationalistischen Terrorgruppen angeschlossen und wurde nach der Gründung der OUN schnell einer ihrer Führer. Er organisierte die militärischen Aktionen und war an einer Reihe tödlicher Attentate auf Politiker und Funktionäre der polnischen Republik beteiligt. Unter seiner Führung ermordete 1934 ein OUN-Kommando den polnischen Innenminister Piracki. In einem aufsehenerregenden Prozeß wurde Bandera zum Tode verurteilt und anschließend zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen 1939 wurde er aus dem Gefängnis befreit und begann mit den Vorbereitungen für eine Beteiligung seiner Milizen am Krieg gegen die Sowjetunion auf seiten NS-Deutschlands. Um sich gegen rivalisierende Fraktionen abzugrenzen und seinen Machtanspruch zu demonstrieren, wurde 1941 der Anfangsbuchstabe seines Namens in die Bezeichnung der Organisation aufgenommen. Die OUN (B) führte einen erbitterten, auch bewaffneten Kampf gegen die wesentlich schwächere OUN (M) – so benannt nach ihrem Führer Melnyk.

Außenpolitisch setzten beide Flügel der OUN auf das Deutsche Reich. Bereits vor Hitlers Machtantritt 1933 unterhielten die ukrainischen Nationalisten Kontakte zur NS-Bewegung; sie wurden von deutschen Geheimdiensten finanziell und logistisch unterstützt. Aus eigener Kraft, das wußten sie, würden sie einen eigenen Staat gegen Polen und die Sowjetunion nie durchsetzen können.

Die Juden werden wir abschlachten, die Polen erdrosseln, aber die Ukraine müssen wir erkämpfen. « (Lied der OUN-Milizen)

Mit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bekamen die ukrainischen Nationalisten ihren langersehnten Krieg zur Befreiung der Nation. Sie führten ihn von Anfang an mit aller Brutalität. Der deutsche Vormarsch wurde mit eigenen Kampfverbänden unterstützt. Im rückwärtigen sowjetischen Gebiet attackierten Milizen der OUN, die ungefähr dreißigtausend Mann umfaßten, Einheiten der Roten Armee. Den raschen Vormarsch der Wehrmacht nutzte die OUN dazu, eine Welle von Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung Galiziens zu organisieren. Allein nach der Eroberung der ostgalizischen Hauptstadt Lemberg wurden mehr als 4.000 Juden ermordet. Die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung waren für die Kader und Milizen der OUN ein wichtiger Schritt zur Säuberung der Nation. Dazu brauchte es keine Befehle oder Initiativen von seiten des deutschen Bündnispartners.

Am Abend des 30. Juni 1941, als die Mordwelle ihren Höhepunkt erreichte, proklamierte die OUN (B) in Lemberg in einem Staatsakt mit Unterstützung der griechisch-katholischen Kirchenführung Galiziens die Unabhängige Ukraine. Die Proklamation war mit der deutschen Führung nicht abgesprochen und führte zu erheblichen Spannungen zwischen den ungleichen Bündnispartnern. Als die Führung der OUN sich weigerte, die Staatsgründung zurückzunehmen, reagierten die Deutschen mit der Verhaftung der Führungsspitze um Stepan Bandera. Bandera wurde als »Ehrenhäftling« in Sachsenhausen interniert und Mitte 1944 freigelassen, um den Kampf gegen die vorrückende Rote Armee in Galizien zu organisieren. Daraus wird bis heute die Legende von der antideutschen »Widerstandsgruppe OUN« gestrickt.

Aber die deutschen Führungskräfte hatten nun mal kein Interesse an einer irgendwie gearteten staatlichen Eigenständigkeit der Ukraine. Das markierte den entscheidenden Unterschied zu anderen radikalen und antisemitischen Bewegungen etwa in Kroatien oder der Slowakei, wo deutsche Marionettenstaaten gegründet wurden. Das Kernland der ukrainischen Nationalisten, Galizien, wurde dem sogenannten Generalgouvernement zugeschlagen, die zentrale und östliche Ukraine unterwarfen die Deutschen zusammen mit Teilen Weißrußlands als Reichskommissariat Ostland dem brutalen Regime des ehemaligen ostpreußischen Gauleiters Koch. Die von der Wehrmacht eroberten Gebiete wurden rücksichtslos ausgebeutet, die Bevölkerung zu rechtlosen Arbeitssklaven gemacht. Hunderttausende aus der Ukraine stammende Angehörige der Roten Armee gingen in deutscher Kriegsgefangenschaft an Hunger, Seuchen und Mißhandlungen zugrunde.

Die Ukraine war ein Hauptkriegsschauplatz des Zweiten Weltkriegs; sie wurde weitgehend zerstört. Nur 19 Prozent der Industrieanlagen waren 1945 noch intakt. Zwischen fünf und sieben Millionen Einwohner der Ukraine waren als Soldaten der Roten Armee durch Hunger und den genozidalen deutschen Besatzungsterror getötet worden. Die jüdische Bevölkerung Galiziens wurde fast vollkommen ausgelöscht. Sie hatte am Vorabend des deutschen Einmarsches mehr als 540.000 Menschen gezählt (etwa so viele Juden lebten 1933 in Deutschland). Der Historiker der Shoah in Ostgalizien, Dieter Pohl, schätzt, daß lediglich zwei bis drei Prozent der galizischen Juden, das sind zwischen zehn und fünfzehntausend Menschen, überlebten. Dies ist die höchste Todesrate einer jüdischen Gemeinschaft in allen von Deutschland besetzten Gebieten.

Ukrainische Hilfstruppen der Wehrmacht und der deutschen Polizei, Verbände der OUN und ihrer verschiedenen bewaffneten Formationen beteiligten sich am Völkermord und exekutierten noch im Frühjahr 1944 in die Wälder geflüchtete Juden. Mit dem Vormarsch der Roten Armee Richtung Westen seit Sommer 1943 änderte die OUN ihre Strategie. Nunmehr rückte die polnische Bevölkerung Wolhyniens mehr und mehr ins Visier der ukrainischen Nationalisten. Sie befürchteten einen erneuten Anschluß dieses Gebiets und Ostgaliziens nach Ende des Krieges an Polen und wollten nun vollendete Tatsachen schaffen. Schon im April 1943 begannen die Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung. Bei diesen Massakern wurde die OUN durch mehr als fünftausend ehemalige ukrainische Hilfspolizisten verstärkt, die die Deutschen zuvor bei der Ermordung der jüdischen Bevölkerung unterstützt hatten und nun dem Aufruf der OUN zur Desertion folgten. Ab Mitte Juni 1944 kamen auch ehemalige Angehörige der ukrainischen SS-Division Galizien hinzu. Insgesamt fielen dem Morden der OUN nach seriösen Schätzungen polnischer Historiker über hunderttausend Menschen zum Opfer.

Die polnischen Milizen reagierten mit brutalen Gegenmaßnahmen und ermordeten ihrerseits allein 1944/45 etwa zwanzigtausend ukrainische Zivilisten. Die gesamte Region verwandelte sich von 1943 bis 1946 in ein Schlachthaus ethnischer Gemetzel zwischen polnischen Einheiten und ukrainischen Milizen und Selbstschutzverbänden, die von den Deutschen unterstützt wurden. Die Auseinandersetzungen wurden erst mit der Massenaussiedlung von Ukrainern aus Polen und von Polen aus der nun zur Sowjetunion gehörenden Westukraine nach Ende des Krieges eingestellt. Erst jetzt – nach dem Anschluß Ostgaliziens, Wolhyniens, der Bukowina, Bessarabiens und von Teilen der östlichen Tschechoslowakei (Transkarpatien) – war in den Augen der ukrainischen Nationalisten die Ukraine vollständig vereint und ethnisch homogener als je zuvor in ihrer Geschichte.

Neben Stepan Bandera, der vor allem in Lemberg und Galizien verehrt wird, ist längst auch Symon Petljura zu einem der Gründungsväter der demokratischen Ukraine avanciert. In der Hauptstadt Kiew ebenso wie in seiner Heimatstadt Poltawa hat man ihm ein Denkmal errichtet; sein Grab in Paris ist zu einem Anziehungspunkt für »westlich orientierte « ukrainische Politiker geworden. Heute verehren die proeuropäischen Parteien der Ukraine die Massenmörder, Pogromisten und Nazi-Gefolgsleute der OUN als Gründerväter der »ukrainischen Nation«, ohne daß bislang dagegen auf seiten ihrer europäischen und deutschen Förderer irgendein Protest laut würde.

Uneingeschränkt zu empfehlen ist die großartige Arbeit der Berliner Historikerin Franziska Bruder zur Geschichte der OUN. Das Buch ist als Einstieg in das Thema sehr geeignet und empfiehlt sich durch Aufbau und Lesbarkeit. Franziska Bruder: »Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!« Die Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929–48. Metropol, Berlin 2006, 299 Seiten, 19 Euro