»Die Arbeiterbewegung wurde nachhaltig traumatisiert«

Vor 100 Jahren putschten rechte Militärs gegen die Regierung der Weimarer Republik. konkret sprach mit dem Autor des Buches Kapp-Putsch 1920 – Abwehrkämpfe – Rote Ruhrarmee, Klaus Gietinger, über die damaligen Ereignisse und ihre Konsequenzen

 

konkret: Was geschah im März vor 100 Jahren?

Klaus Gietinger: Die erst wenige Monate alte Weimarer Republik erlebte einen Putsch präfaschistischer Militärs, unterstützt von Vertretern des Großgrundbesitzes, finanziert von diversen Banken. Wolfgang Kapp, der sich zum Reichskanzler ernannte, war nicht nur Großagrarier, sondern auch Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Walther von Lüttwitz, höchster General der Reichswehr, kürte sich zum Reichswehrminister und versuchte, eine Militärdiktatur zu installieren. Die legale Regierung aus SPD, DDP (einer Vorläuferin der FDP) und Zentrum, einem katholischen Vorläufer der CDU, musste fliehen.

Auslöser des Putsches war die von den Siegermächten des Weltkriegs verlangte Auflösung der Marinebrigaden Ehrhardt und Loewenfeld, zwei schwerbewaffneten Freikorps, die beide schon das Hakenkreuz trugen und Jagd auf Juden machten. Gustav Noske (SPD), Reichswehrminister seit Februar 1919, unterzeichnete schweren Herzens den Auflösungsbefehl, liebte er doch diese Truppen. Mit ihnen hatte er Streiks, Arbeiteraufstände und Räterepubliken im ganzen Land per Massaker »befriedet«. Doch jetzt wandten sich diese Helfershelfer gegen die SPD, übrigens mit dem nur auf den ersten Blick grotesken Vorschlag, Reichspräsident Ebert (SPD) und Noske sollten sich als Diktatoren an die Spitze des Putsches stellen.

Nur auf den ersten Blick grotesk?

Weil Noske, als es im Juni 1919 um Unterzeichnung oder Nichtunterzeichnung des Versailler Friedensvertrags gegangen war, sich als Diktator angeboten hatte, sehr zur Freude der Militärs. Doch Ebert verwarf den Vorschlag, weil er einen Generalstreik befürchtete. Der kam jetzt als Antwort auf den Putsch, übrigens mit ausgelöst von den SPD-Mitgliedern der Regierung, die noch kurz vor ihrer Flucht aus Berlin einen von revolutionärem Pathos durchdrungenen Aufruf zum Generalstreik herausgaben, den sie später leugneten.

Leugneten?

Dazu gleich, zunächst etwas über die Zusammenarbeit mit den Militärs. Nach der Novemberrevolution, die als Reaktion auf den verlorenen Krieg die Monarchie gestürzt hatte, verbündete sich die SPD-Führung mit den alten Militärs, statt, wie im Erfurter Programm von 1891 und im Dezember 1918 im Reichsrätekongress beschlossen, zu sozialisieren, den alten militärischen Apparat zu zerschlagen und eine Milizarmee von unten aufzubauen. Es entstanden präfaschistische Freikorps, schwerbewaffnete Sicherheitspolizei (Sipo), Zeitfreiwilligenverbände, Einwohnerwehren, Streikbrechertrupps und eine reaktionäre Reichswehr – zusammen eine Million Soldaten, mehr, als der Kaiser in Friedenszeiten zur Verfügung hatte. Eine durchmilitarisierte Gesellschaft mit dem Segen der SPD-Führung. Das ließen sich die Alliierten nicht gefallen. Sie verlangten die Auflösung dieser Verbände und die Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Mann.

Und dagegen putschten Kapp, Lüttwitz ...

... und Hauptmann Pabst (der Luxemburg/Liebknecht-Mörder). Im Hintergrund General Ludendorff. Die Regierung floh erst nach Dresden, wo sie aber nicht sicher war, und dann nach Stuttgart, wo sie nur von den Militärs geduldet wurde, weil sie den Generalstreikaufruf leugnete. Große Teile der Reichswehr, die Freikorps und die Sipo schlossen sich dem Putsch an. Im ganzen Osten und in Mitteldeutschland hatten sich die Kommandierenden zu Kapp bekannt. Jetzt kam es nicht nur zum landesweiten Generalstreik, dem größten, den es jemals in Deutschland gegeben hat, sondern die Arbeiter, ob aus SPD, USPD oder KPD, vergaßen die alte Spaltung, holten ihre Waffen aus den Verstecken oder nahmen sie Polizeirevieren und Großgrundbesitzern ab. In den Industriegebieten um Leipzig, Halle, Chemnitz, Dresden, Gotha, in Suhl, Meiningen, aber auch in Mecklenburg und Pommern kam es zu massiven Auseinandersetzungen mit Freikorps, Reichswehr und Sipo, die sofort auch in unbewaffnete Demonstrationen schossen.

Und im Westen war nichts los?

Doch, im Ruhrgebiet bildete sich spontan eine später so genannte Rote Ruhrarmee aus SPD, USPD, KPD, einigen Bürgerlichen und zahlreichen anarchistischen Syndikalisten, die bis zu 80.000 Mitglieder hatte. Sie vertrieben die Freikorps aus dem Kohlenpott – das erste Mal, dass Arbeiter gegen Militärs die Oberhand behielten.

Der Putsch war dann ja schnell zu Ende.

Wegen des Generalstreiks. Die Reichsregierung konnte nach Berlin zurückkehren, die Gewerkschaften verlangten jetzt eine Arbeiterregierung mindestens aus SPD und USPD, doch die USPD lehnte ab. Ein Forderungskatalog der Gewerkschaften nach Sozialisierung und Zerschlagung der Putschtruppen wurde ausgesessen und nie umgesetzt. Und jetzt ging es gegen die Ruhrarmee?

Gegen die Rote Ruhrarmee schickte man die präfaschistischen Freikorps, die erst geputscht und, nachdem das misslungen war, sich als regierungstreu erklärt hatten. General Seeckt, der sich geweigert hatte, auf die Putschisten schießen zu lassen, wurde Oberbefehlshaber der Reichswehr und verkündete den verschärften Ausnahmezustand, nicht gegen die Putschtruppen, sondern gegen die Arbeiter, mit illegalem Standrecht.

Und was tat die Regierung?

Carl Severing, ein rechter SPD-Mann, wurde vorgeschickt; er handelte einen faulen Kompromiss aus, das Bielefelder Abkommen, in dem den Arbeitern alles Mögliche versprochen, aber letztlich nichts eingehalten wurde. Severing gab offen zu, dass dies nur zur Spaltung diente. Die Rote Armee zerfiel, die Freikorps marschierten ins Ruhrgebiet ein und mordeten gnadenlos Männer und Frauen. Die Regierung segnete alles ab. Einigen Tausend Arbeitern gelang die Flucht ins britisch besetzte Köln, andere flohen ins Bergische Land, das die Regierung sich nicht zu besetzen traute, da sie Reaktionen der Alliierten befürchtete. Sonst hätte es statt 2.000 20.000 Tote gegeben.

Waren die Freikorps die Vorhut der Nazis?

Ja, die Freikorps, die fast alle das Hakenkreuz auf dem Strahlhelm trugen und »Tod den Juden« nicht nur auf ihre Zugwaggons schmierten, sondern Juden auch tatsächlich verfolgten, beherbergten unzählige spätere hohe Nazis und SS-Generäle: Ernst Röhm, Rudolf Hess, Rudolf Höß, den späteren Kommandanten von Auschwitz, Kurt Daluege, Hans Kammler und viele mehr. Auch »Wehrmachtshaudegen« wie Manstein und Model waren mit dabei.

Was hatte die Niederlage von 1920 für Auswirkungen?

Die Arbeiterbewegung wurde nachhaltig traumatisiert, dies hatte sie der Militärpolitik der SPD-Führung zu verdanken. Die Spaltung war damit zementiert. 1932 und 1933 gab es keinen Generalstreik mehr, weder gegen Papen noch gegen Hitler. Ich finde es lustig, dass die heutige SPD-Führung nach dem Massaker von Hanau postete: »Für uns gilt seit 156 Jahren: Kein Fußbreit dem Faschismus.«

Interview: Erich Später