Im Keller

Im Keller

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl hat den Voyeurismus zum ästhetischen Prinzip erhoben. Aber er gibt dem Voyeur im dunklen Saal mehr, als der je haben wollte.

Im Keller

27.11.2014 15:13

Regie: Ulrich Seidl; mit Fritz Lang, Alfreda Klebinger; Österreich 2014 (Neue Visionen); 85 Minuten; ab 4. Dezember im Kino

 Film ist eine Veranstaltung für Voyeure. Wenn wir im Kino sitzen, können wir uns ohne Furcht vor gesellschaftlicher Ächtung an den Intimitäten fremder Menschen weiden. Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl hat diesen Voyeurismus zum ästhetischen Prinzip erhoben. Er steht damit nicht allein, sondern in einer großen Tradition: Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick sind seine Meister, und er zeigt gern, was er von ihnen, zumal von Kubrick gelernt hat.

In Seidls neuem Film »Im Keller« ist wie in »2001« oder »Barry Lyndon« jede Einstellung symmetrisch und erhaben arrangiert, die Kamera bewegt sich nur ins Bild hinein oder aus ihm heraus, die Aktionen, die abgefilmt werden, bleiben im Visier auch dann, wenn der Zuschauer gegen etwas Ablenkung nach links oder rechts keine Einwände hätte. Seidl gibt dem Voyeur im dunklen Saal mehr, als der je haben wollte.

Zum Beispiel die wie ein Paket verschnürte nackte Frau, die von ihren Ehemännern halbtot gequält wurde, aber einfach keine Lust empfindet, wenn sie beim Sex nicht wie ein Stück Dreck behandelt wird. Zum Beispiel den dicken pelzigen Mann, der die Klomuschel ausleckt, um sich anschließend von seiner Ehefrau die Hoden mit einem Flaschenzug hochbinden zu lassen. Zum Beispiel den Waffennarren, der sich für einen verhinderten Opernsänger hält, aber mit seinen 70 Jahren viel besser als das hohe C das ansatzlose Schießen aus der Hüfte beherrscht. Zum Beispiel der Volksmusiker, der sich in seinem mit Nazi-Memorabilien vollgestopften Partykeller mit Freunden von der ÖVP zum Saufen trifft (was diese Freunde mittlerweile ihre Ämter im Gemeinderat gekostet hat – Seidls Filme sind immer für einen Eklat gut). Zum Beispiel die Prostituierte, die sich als Verkäuferin wie eine Sklavin vorkam und nun von Freiern in Karnickelkäfige sperren lässt.

Nicht erst seit den Fällen der armen Natascha Kampusch und des entsetzlichen Josef Fritzl steht der Keller ziemlich symbolisch für die mentale Möblierung der Republik Österreich. Behauptet Regisseur Seidl, und er beteuert, lange vor Bekanntwerden dieser Verbrechen seinen Film geplant zu haben. Mag sein. Ein Dokumentarfilm im strengen Sinn ist »Im Keller« jedenfalls nicht. Dafür hat Seidl zu oft geschummelt, etwa bei den Szenen mit der Rentnerin, die mit lebensechten Babypuppen schmust. Der aufmerksame Betrachter ahnt’s und hat das unschöne Gefühl, angeschmiert zu werden. Aber das sind Einwände eines ertappten Spanners. Der Film hat Fehler, aber nicht mehr als der Betrachter.                                                                                                                                              

Kay Sokolowsky