Analität des Bösen

Analität des Bösen

The Interview startet am 5. Februar in den deutschen Kinos. Dank der transatlantischen Aufregung ist der Film international viel erfolgreicher als zu erwarten war. Zu Unrecht findet Marit Hofmann.

Analität des Bösen

05.02.2015 11:14

Am 9. Dezember 2014 begab ich mich in Lebensgefahr. Ich besuchte das Hamburger Pressescreening von »The Interview«, dessen Vorführer wie Zuschauer, wie ich erst später erfuhr, »einem tragischen Schicksal geweiht« seien. So hieß es in einer der widersprüchlichen Botschaften der mutmaßlichen Sony-Hacker oder ihrer Trittbrettfahrer, gefolgt von den raunenden Worten: »Erinnert euch an den 11. September 2001.« Dabei erscheint es mir im nachhinein ziemlich schwierig, ein entführtes Verkehrsflugzeug in das Kino im Erdgeschoss eines vierstöckigen Gebäudes zu steuern. Einen Attentatsversuch gab es dann auch nur im Film selbst: Die CIA will den nordkoreanischen Staatschef mit Hilfe zweier durchgeknallter Radaufernsehjournalisten, die ein Interview mit Kim Jong-un ergattert haben, umlegen lassen und darf am Ende auch dessen Ausschaltung feiern – aus Nordkorea wird Knall auf Fall eine sog. Demokratie nach westlichem Vorbild.

Die dafür aufgefahrenen explodierenden Hubschrauber, Fäkalien und anderen Analitäten gehören nicht gerade zu den letzten Bildern, die ich vor meinem Tod an mir vorüberziehen lassen will. Wie üblich ist bei Pressevorführungen, bei denen Alkoholika (in diesem Fall Glühwein) gereicht werden, damit sich die kritischen Medienvertreter das Prüfobjekt schöntrinken können, Vorsicht geboten. Vereinzelte Lacher entlockten mir anfangs noch die Szenen, in denen die Filmemacher Seth Rogen und Evan Goldberg die US-eigenen Perversionen des TV-Geschäfts vorführen. Unter anderem mit Hilfe des echten Eminem, der durch ein überraschendes Statement Talkmaster James Francos Mimik Achterbahn fahren lässt. Auf ihrem Nordkorea-Trip mutieren der Startalker und sein Produzent aber immer mehr zu langweiligen Moralaposteln, die in Wendungen aus dem Actionkomödienbaukasten die feindliche Propaganda entlarven. Zum patriotischen Helden macht den Talkmaster schließlich, dass er Kim Jong-un als Weichei dastehen lässt, das live on air in Tränen ausbricht und sich in die Hose macht.

Ebenso dürfen sich nun auch die Zuschauer des mittlerweile für die Goldene Himbeere nominierten Klamauks als patriotische Kämpfer für die Meinungsfreiheit fühlen. Verschwörungstheoretiker könnten in dem Wirbel um die Hollywood-Klamotte über einen als Pressecoup getarnten Mordkomplott einen als Mordkomplott getarnten Pressecoup wittern. Denn der Film, der nun doch wie ursprünglich geplant am 5. Februar auch in deutschen Kinos startet, ist dank der transatlantischen Aufregung viel erfolgreicher, als zu erwarten war. Dabei hatte Dokumentarfilmschreck Michael Moore nach der Nachricht von der vorübergehenden Absetzung von »The Interview« bereits frohlockt und die Sony-Hacker per Twitter gebeten, auch noch für weniger romantische Komödien, Michael-Bay-Produkte und »Transformer«-Fortsetzungen zu sorgen.

Immerhin bietet der Hype um den Film ungeahnte Möglichkeiten für kreative Kriminelle: Wer »The Interview« downloaden will, könnte auf einen Trojaner hereinfallen und seine Onlinebankingdaten loswerden. Lebensgefahr besteht aber offenbar nicht. Höchstens die Gefahr tödlicher Langeweile.

Marit Hofmann