Inherent Vice

Inherent Vice

Abrupt und wenig zimperlich entlässt Paul Thomas Anderson die Hippie-Ära in die knallharte Realität Los Angeles' der siebziger Jahre. Sehenswert, findet Ulrich Kriest.

Inherent Vice

20.02.2015 10:30

Regie: Paul Thomas Anderson; mit Joaquin Phoenix, Josh Brolin; USA 2014 (Warner); 148 Minuten; seit 12. Februar im Kino

Mit Natürliche Mängel hat Thomas Pynchon einen flotten Roman vorgelegt, von dem man sich vorstellen konnte, er könnte verfilmt werden. Paul Thomas Anderson bestätigt diese Vermutung, indem er clever zu den Quellenzurückkehrt, aus denen Pynchon schöpfte. Alles aus zweiter Hand, Baby! Denn der Autor zeichnete ein Los Angeles um 1970, das durch die Bilderwelten der hard oiled novels von Hammett, Chandler & Co. Und der films noirs der vierziger und fünfziger Jahre hindurcherzählt ist. So reproduziert er einen Ansatz, der einigen New-Hollywood-Filmen wie »The Long Goodbye«, »Chinatown« oder auch »Night Moves« innewohnt. Anderson kehrt filmästhetisch dahin zurück.

Wie bei Chandler bringt eine Frau die Geschichte in Gang: Sashta Fay Hepworth, die gerne ein zerschlissenes Country Joe &The Fish-T-Shirt trägt, macht ihren Exlover und Privatdetektiv Sportello auf den Fall des verschwundenen Baulöwen Wolfman aufmerksam. Der ist Jude, will aber Nazi sein und hält sich ein paar Rocker von der arischen Bruderschaft als Leibwache. Schnell wird der Fall unübersichtlich; korrupte, gewaltbereite, psychotische Hippie-Hasser-Polizisten machen dem Detektiv das Leben schwer. Anderson gelingt es souverän, die kulturelle Umbruchphase zu skizzieren: Es ist eine Zeit der Ungleichzeitigkeiten. Woodstock liegt gerade mal ein knappes Jahr zurück, doch aktuell halten die Manson-Morde die Polizei in Atem.

Der Hippietraum ist ausgeträumt, der Soundtrack zu »Inherent Vice« stammt nicht von Jefferson Airplane, sondern von Can, Neil Young und Minnie Riperton: Der Kater ist mit Händen zu greifen. Der Film erzählt von FBI-Spitzeln, die den Underground infiltrieren, und von einer Zahnarztorganisation, die Drogenschmuggel und Entzugskliniken in einer Hand betreibt. Ein Requiem: nur ein paar Versprengte träumen noch »angetrieben von Dope und Frechheit, allgemeiner Menschenliebe und guter Stimmung« (Pynchon) von einer gerechten Welt.

 Sportello, als sympathischer Loser eingeführt, wird im Laufe der Handlung zu einer Chandler-Figur, die fast instinktiv die richtigen Verbindungen herstellt und professionell ihren Job macht. Wie in Der lange Abschied verschwinden Menschen in Kliniken, werden komplexe Intrigen ausgeheckt, durch Machtgeilheit und Habgier befeuert. Über dem Eingang der Entzugsklinik rangt der Slogan: »Clean is hip!« California über alles!

Ulrich Kriest