Willkommen auf Deutsch

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"90 Minuten filmgewordene Widersprüchlichkeit". Nicolai Hagedorn über den neuen Film von Carsten Rau und Hauke Wendler.

Willkommen auf Deutsch

24.03.2015 13:43

Regie: Carsten Rau/Hauke Wendler; Deutschland 2014 (Brown Sugar Films); 93 Minuten; ab 12. März im Kino

Das 400-Seelen-Dorf Appel hat ein Problem. Das ehemalige Altenheim im Ort soll zu einer Asylbewerberunterkunft umgebaut werden. Es bildet sich eine Bürgerinitiative, deren Anführer kaum verblümt mit Gewalt droht, sollten tatsächlich »53 Asylanten« einziehen. Einige Mütter sehen ihre minderjährigen Töchter durch »männliche Bedürfnisse« der Fremden bedroht, und dem Vertreter des Landkreises, der die neue Flüchtlingsunterkunft geplant hat, wird mitgeteilt, er solle »seine Neger« wieder mitnehmen. Schließlich schlagen die Anwohner vor, immerhin elf Flüchtlinge in der örtlichen Pension unterzubringen und setzen sich damit durch. Der vierschrötige Wirt bekommt nicht nur die elf Asylbewerber in sein Deutsches Haus, sondern auch die Aufgabe aufgebrummt, sie zu »unterstützen«. Sechs Wochen später brät er Schnitzel mit seinen Schützlingen und feixt: »Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Zusammenleben ist gut.« Deutsche Willkommenskulturentbehrt nicht einer gewissen Komik.

Die Regisseure Hauke Wendler und Carsten Rau kommen ihren Figuren nahe, ohne ihnen zu nahezutreten. Sie dokumentieren die Vorgänge in zwei Dörfern im Landkreis Harburg, deren Bewohner sich zwischen Empathie und Ressentiment, Hilfsbereitschaft und Rassismus plötzlich konkret zu angekündigten beziehungsweise bereits eingetroffenen Flüchtlingen verhalten müssen. Und sie zeigen die Neuankömmlinge, die vor lauter Aufregung, Sorgen und Hoffnung gar keine Zeit haben, böse Pläne gegen ihre Gastgeber zu schmieden.

In aller Ruhe und ohne Parteinahme werden die Hilfsbedürftigen den Vorurteilen der deutschen Kleinbürger gegenübergestellt, so dass man sich manchmal fragt, wer eigentlich die erbarmungswürdigeren Gestalten sind: die Verdammten dieser Erde oder diejenigen, die ihnen vor Angst und Wut kein ehemaliges Altenheim gönnen. Indem der Film die Ängste der Angsthaber ernst nimmt, zeigt er, dass sie nicht ernst zu nehmen sind.

Es gibt aber auch die anderen: entschlossene Rentnerinnen, die Deutschkurse geben und Kinder betreuen, Kirchenvertreter, die sich um Kontakte zwischen Flüchtlingen und Anwohnern bemühen, oder den Landkreisbürokraten, der so pedantisch wie rührend Unterkünfte organisiert. Diese 90 Minuten filmgewordene Widersprüchlichkeit sozialer Aushandlungsprozesse sind so aufschlussreich und kurzweilig, dass man sich beim Abspann fragt, wo die Zeit geblieben ist. 

Nicolai Hagedorn