Peggy Guggenheim - Ein Leben für die Kunst

Peggy Guggenheim - Ein Leben für die Kunst

Aus einer Flut an Bildern, Zeitungsartikeln, Filmausschnitten, Interviews und Kunstwerken setzt die amerikanische Filmemacherin Lisa Immorino die zahllosen Stationen und Ereignisse im Leben der mindestens ebenso vielseitigen Persönlichkeit der schillernden Sammlerin, Galeristin und Mäzenin Moderner Kunst, Peggy Guggenheim, wie aus Fragmenten zusammen. Lukas Heger hat den Dokumentarfilm gesehen. 

Peggy Guggenheim - Ein Leben für die Kunst

04.05.2016 15:22

Regie: Lisa Immordino Vreeland; USA 2015; 92 Minuten; ab 5. Mai im Kino

„Sie war auf ihre ganz eigene Art eine Feministin”. Das sagt Regisseurin Lisa Immorino Vreeland über Peggy Guggenheim, deren Leben sie sich in ihrer - nach Diana Vreeland. The Eye Has to Travel“ (über die Modedesignerin und Großmutter ihres Mannes) - zweiten Dokumentation annimmt. Aus einer Flut an Bildern, Zeitungsartikeln, Filmausschnitten, Interviews und Kunstwerken setzt die amerikanische Filmemacherin die zahllosen Stationen und Ereignisse im Leben der mindestens ebenso vielseitigen Persönlichkeit der schillernden Sammlerin, Galeristin und Mäzenin Moderner Kunst wie aus Fragmenten zusammen. Sie lässt Freund*innen und Bekannte, Kunstkritiker*innen, Kurator*innen und Prominente zu Wort kommen, nicht zuletzt aber Guggenheim selbst, die in einem lange verschollenen Interview ihr Leben reflektiert und uns so gewissermaßen selbst durch ihre Biografie führt. Dabei verliert Vreeland, die die Aussagen nicht kommentiert, sie nebeneinander stehen lässt und dem Film keine Deutung aufzwingt, nie den historischen Kontext aus den Augen. Nebenbei bietet sie auch noch eine spannende Einführung in die Geschichte der Kunst der Avantgarde.

Schillernd war schon die Welt in die Peggy 1889 hineingeboren wurde und mit der Vreeland ihre Dokumentation beginnt: Die Welt der New Yorker High Society, der die Guggenheims angehörten, eine Familie voller skurril exzentrischer Gestalten und doch voll bürgerlichen Stumpfsinns, vorgezeichneten Lebensläufen und gesellschaftlichen Konventionen, die zu verletzen eigentlich den Männern der Familie vorbehalten war. Ausgestattet mit einem Erbe von 450.000 Dollar, das ihr beim Untergang der Titanic ertrunkener Vater ihr hinterlassen hatte, entfloh Guggenheim dieser Enge Anfang der zwanziger Jahre nach Paris. Dort tauchte sie ein in die Welt der Boheme, schloss Freundschaften zu Intellektuellen und stürzte sich in Affären und Beziehungen mit Malern und Literaten.

Inspiriert und beraten durch ihre Liebhaber, unter ihnen Marcel Duchamp und Samuel Beckett begann sie, Werke der Avantgarde zu sammeln und auszustellen - mittelmäßige Kunst, sogar Ramsch in den Augen vieler Zeitgenossen. “Entartete Kunst” in den Augen der Nazis, die die Künstler*innen der Moderne diffamierten und verfolgten. Um sich vor den herannahenden deutschen Truppen – Vreeland lässt Panzer über die Leinwand rollen - in Sicherheit zu bringen, verhökerten die Pariser Künstler ihre Werke zu Schleuderpreisen und flohen aus der Stadt. Ein Kunstwerk täglich soll Guggenheim in dieser Zeit erstanden haben - keine unheikle Grundlage für ihre Sammlung. Doch Guggenheim habe nie versucht, Preise herunterzuhandeln, sondern immer den verlangten Preis bezahlt, ja, sie sei sich gar nicht bewusst gewesen, Werke unter Wert zu kaufen, werfen die Interviewten ein. Auch habe sie durch ihre finanzielle Hilfe bei der Emigration viele Künstler gerettet. Auch hier spricht der Film die kritischen Punkte in Guggenheims Biografie an, eröffnet unterschiedliche Perspektiven, verweigert sich aber jeder eindeutigen Wertung und überlässt es den Zuschauenden, sich selbst eine abschließende Meinung zu bilden.

Überhaupt: Einseitigkeit kann man der Dokumentation nicht vorwerfen. Vreeland zeichnet kein Heiligenbild, lässt Widersprüche zu. Sie zeigt die Narzisstin, der Kunst zur Selbstbestätigung und Selbstdarstellung dienten, ebenso wie Guggenheims Energie und Lebenslust, ihren Mut und ihre Offenheit für Neues. Sie stellt sie als „Modell der befreiten Frau“ dar, wie einer der Interviewten Guggenheim nennt, und weist doch auf Abhängigkeiten hin: bei der Gestaltung ihrer Galerien in London und New York etwa oder beim Zusammenstellen ihrer Sammlung. Geschickt setzt Vreeland ihr Material zu einem komplexen, vielstimmigen Ganzen zusammen, das doch nicht abgeschlossen ist, sondern offen bleibt für Nachfragen und Kritik. Doch trotz oder vielleicht gerade wegen der Flut an Bildern, Meinungen und Adjektiven mit der sie Guggenheim nahezukommen versucht, bleibt die Person hinter den Adjektiven nicht ganz greifbar, verschwommen und undeutlich.

Diese Offenheit, die zum Recherchieren und Weiterlesen (oder –gucken) anregt, macht „Peggy Guggenheim. Ein Leben für die Kunst“ zu einem spannenden Einstieg in Guggenheims Biografie und regt dazu an, sich mit den Werken von Kandinsky, Duchamp, Rothko, Pollock und Co. zu beschäftigen. Venedig wäre ein guter Ort dafür, genauer gesagt der Palazzo Vernier dei Leoni, in dem sich Guggenheim nach dem Krieg mit ihrer Sammlung niederließ. Heute ist ihr Palazzo ein Museum, in dem mit der Peggy Guggenheim Collection einige der bedeutendsten Werke der Moderne zu bewundern sind.

Lukas Heger