The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte

The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte

In der nahen Zukunft, die „The Lobster“ gar schröcklich ausmalt, haben Menschen, die keinen Ehepartner finden, ihr Recht auf ein Leben in der City genannten Zivilisation verwirkt und werden in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Wer wie der Protagonist David von seiner Gattin verlassen wurde, landet in einem Hotel genannten Umerziehungslager, in dem ihm 45 Tage Zeit bleiben, unter den anderen Singles eine Partnerin zu finden. Die wagemutigsten und gewitztesten europäischen Filme kommen derzeit von griechischen Regisseuren, meint Marit Hofmann. 

The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte

23.06.2016 11:49

Regie: Yorgos Lanthimos; mit Colin Farrell, Rachel Weisz; Irland /Großbritannien u.a. 2015 (Yorck-Kino/Park Circus); 118 Minuten; ab 23. Juni im Kino; DVD bereits erschienen (Sony)

Ist das Land erst ruiniert, filmt es sich ganz ungeniert. Die wagemutigsten und gewitztesten europäischen Filme kommen derzeit von griechischen Regisseuren. Das beweist neben Athina Rachel Tsangari  („Chevalier“) nun ein weiteres Mal Yorgos Lanthimos („Dogtooth“) - mit seinem ersten englischsprachigen Film.

„The Lobster“, der hier zunächst nur auf DVD erschienen ist, kommt nun kurzfristig doch noch ins Kino – und hat mit seinen imposanten, penibel arrangierten Bildkompositionen in kühlen Farben die große Leinwand verdient. Wie Tsangaris „Attenberg“ ist auch diese anthropologische Studie mit der Tierwelt verknüpft: In der nahen Zukunft, die „The Lobster“ gar schröcklich ausmalt, haben Menschen, die keinen Ehepartner finden, ihr Recht auf ein Leben in der City genannten Zivilisation verwirkt und werden in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. (Woraufhin es vor Hunden wimmelt, aber auch ein Flamingo läuft einmal, von den Menschen unbeachtet, durchs märchenhafte Bild.) Wer wie der Protagonist David (als zukünftiger Hummer erstmals mit Bierbauch: Colin Farrell) von seiner Gattin verlassen wurde, landet in einem Hotel genannten Umerziehungslager, in dem ihm 45 Tage Zeit bleiben, unter den anderen (namenlos bleibenden) Singles eine Partnerin zu finden. Dabei sollen absurde tanzschulkniggeartige Vorführungen das Leben im Doppelpack schmackhaft machen.

Wo in der Gegenwart der Ausgangspunkt dieser Dystopie liegt, ist nicht schwer zu erraten: „Die Leute glauben, dass sie immer in einer Beziehung leben müssen“, sagt der Regisseur. Als gescheitert gelte, wer das nicht könne. Aus der Angst heraus, allein zu bleiben - beziehungsweise als Hummer im Kochtopf zu landen -, greifen die Singles im Film zu Täuschungsmanövern. Nicht Gefühle, sondern Übereinstimmung in einem gemeinsamen Merkmal (etwa Kurzsichtigkeit, Unverfrorenheit oder Neigung zum Nasenbluten) ist in dieser Welt Voraussetzung dafür, seine „bessere Hälfte“ zu finden. Als Präventionsmaßnahme gegen Ehekrisen bekommen Paare Kinder zugewiesen.

Die Off-Erzählerin von Davids Geschichte ist die Dame seines Herzens, der er tragischerweise erst begegnet, als er die Partnersuche aufgegeben hat und zu der illegalen im Wald lebenden Widerstandstruppe, den Loners, übergelaufen ist. Es ist die Flucht von einer Hölle in die andere: Bei den Loners, die eine tierisch toughe Léa Seydoux anführt, ist Masturbation zwar anders als im Hotel ausdrücklich erlaubt, dafür sind Flirten, Küssen und Geschlechtsverkehr strengstens verboten und werden nicht minder brutal bestraft. Während die Singles im Hotel und die Paare in der City eher steife Konversation betreiben und unnützes Wissen austauschen, führt einzig das heimliche Liebespaar in diesem Film leidenschaftliche Gespräche – und zwar in einer eigens ersonnenen Gebärdensprache. Für echte Gefühle ist kein Platz in dieser ganz und gar entsolidarisierten Welt; der einzige Ausweg, den die Liebenden sehen, ist ein Gewaltakt.

Am Ende geht das Licht aus. Und wenn du im wahrsten Sinne des Wortes geblendet aus dem Kino kommst, siehst du einen vorbeilaufenden Hund mit ganz anderen Augen.

Marit Hofmann