»Die Stadt hat Potential«

Drei Jahre nach dem Angriff auf das jüdische Restaurant Schalom hat das Amtsgericht Chemnitz einen 30jährigen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. konkret sprach nach dem Anschlag auf das einzige jüdische Restaurant Sachsens mit dessen Geschäftsführer Uwe Dziuballa. Das Interview erschien in konkret 10/18

konkret: Sie waren während des Angriffs in Ihrem Restaurant?

Uwe Dziuballa: Ja. Seit dem 15. März 2000 betreibe ich das jüdische Restaurant Schalom in Chemnitz. Um 21.44 Uhr erfolgte am 27. August 2018 eine Attacke auf das Restaurant und auf mich. Ob das jetzt Linke oder Rechte waren, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen, weil ich aufgrund der angespannten Situation das einfach nicht erkennen konnte. Aber es wurde gerufen: »Judensau!«, und: »Verschwinde aus Deutschland!« Dieses Vokabular ist aufgrund meiner bisherigen Erfahrung eher dem rechten Spektrum zuzuordnen.

Wie kommen Sie darauf, dass das auch Linke gewesen sein könnten?

Jeder, der mit mir spricht, will von mir genau wissen, was das für Leute waren. Ich habe, während die Steine flogen, nicht gefragt: »Welcher politischen Strömung gehören Sie an?« Aufgrund der gerufenen Beschimpfungen habe ich meine Schlüsse gezogen, aber es kann auch ein politisch neutraler veganer Homosexueller rufen: »Juden raus!«
Wenn die Polizei, wovon ich nicht ausgehe, die Leute schnappen sollte und dann herauskäme, welcher politischen Strömung sie angehören, werde ich die gesamte westliche Welt über meinen Facebook-Account darüber informieren.

Wie ging es an dem Abend weiter?

Viele behaupten, dass ich lügen würde. Wir haben montags im Restaurant Ruhetag. Deshalb sagen die Leute, es könne den Angriff an diesem Abend gar nicht gegeben haben. Wir nutzen allerdings öfter den Ruhetag für Veranstaltungen mit unserem Verein Schalom e.V. Am Abend des Übergriffs hielt ein Journalist einen Vortrag über Arisierungen jüdischer Unternehmen in der Zeit von 1939 bis 1945. Gegen 21.20 Uhr war der Vortrag beendet.
Ich war noch im Restaurant, als es zu dem Angriff kam. Auf der Terrasse habe ich ein Geräusch gehört und nachgesehen. Da hatte sich eine Gruppe von etwa zehn bis zwölf Personen versammelt, die vermummt waren. Ich weiß nicht mehr, ob ich gerufen habe: »Verschwindet!«, oder ob ich es nur gedacht habe. In der Situation stieg in mir jedenfalls eine Angst auf, die ich so bisher nicht kannte. Ich bin 53 Jahre alt und gehe ansonsten ziemlich angstfrei durchs Leben. Dann flogen Flaschen, Steine und eine Eisenstange in Richtung des Lokals. Einer der Steine traf mich an der Schulter. Aus der Gruppe wurden noch Parolen gerufen, dann rückten sie wieder ab.
Die Polizeibeamten, die später vor Ort waren, waren an dem Abend sachlich korrekt und empathisch. Bis 2012 habe ich mit der sächsischen Polizei nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht und von 2012 bis 2018 eigentlich gar keine.

Was haben Sie für ungute Erfahrungen mit der sächsischen Polizei gemacht?

Dazu will ich jetzt nichts sagen, ich lebe nicht in der Vergangenheit. Und ich gestehe auch Menschen und Institutionen zu, sich weiterzuentwickeln.

Der Angriff am 27. August war nicht der erste auf Ihr Restaurant.

Im Zeitraum vom Jahr 2000 bis 2012, als das Lokal in Chemnitz noch eine andere Adresse hatte, hatten wir durch Angriffe in etwa einen Gesamtsachschaden von 40.000 Euro zu verzeichnen. Wir reden hier von Sachbeschädigung, Hakenkreuzschmierereien und so weiter.
Seit dem 10. November 2012 sind wir an dem neuen Standort, und hier hatte sich die politische Ausdrucksweise von Leuten, die uns nicht mögen, – mal abgesehen von ein paar Zurufen oder mal ein gepflegter Hitlergruß oder so was – bisher auf zwei Eierwurfattacken beschränkt. Das war also keine Sachbeschädigung im klassischen Sinne, es sind eigentlich nur die Eier kaputtgegangen; auch deutsche Eier halten den Aufprall auf ein jüdisches Haus nämlich nicht aus.

Wie haben Sie die letzten Wochen in Chemnitz erlebt?

Wenn ich an solchen Kundgebungen, wie sie in Chemnitz jetzt häufiger stattfanden, vorbeikomme, dann macht mir das schon Angst. Ich wohne seit 1993 in dieser Stadt. Es liegt sicher viel im argen hier, aber das Bild, das jetzt von Chemnitz entstanden ist, halte ich nicht für repräsentativ. Die Stadt hat viel mehr Potential, als manche glauben. Etwa 70 bis 75 Prozent der Gäste in unserem Lokal kommen entweder aus den gebrauchten Bundesländern oder aus den USA, Frankreich, England und so weiter – und die erleben auch die Stadt. Diese Leute sind fast immer positiv überrascht. Chemnitz wird sicher nie die Perle der Riviera werden. Aber das einzige, was ich der Stadt wirklich vorzuwerfen habe, ist, dass wir keinen Zugang zum Meer haben.

Sie treffen demnächst den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Was wollen Sie ihm sagen?

In einem Land wie Deutschland wünsche ich mir mehr Charakter, und dass mit allen fair umgegangen wird. Das gilt auch für Flüchtlinge. Die Verfahren müssen transparent sein und dürfen nicht so lange dauern. Wer einen Aufenthaltsstatus bekommt, muss auch in diese Gesellschaft integriert werden; wer keinen erhält, muss relativ schnell wieder das Land verlassen. Es ist natürlich irgendwie perfide, das als Jude in Deutschland zu sagen, denn wenn jetzt hierzulande alle wieder im Gleichschritt laufen wie ’33, dann werde ich nicht abwarten, dann packe ich auch meine Sachen und gehe. Und dann muss ich hoffen, dass ich irgendwo bleiben kann.

Vielen Dank für das Interview. Wir schicken Ihnen den Text noch mal zu.

Wir sollten etwas für die Betreffzeile der E-Mail vereinbaren.

Bekommen Sie so viele E-Mails?

Tonnenweise, auch nette, wirklich, da will ich nicht undankbar erscheinen. Aber es kommen auch sehr viele von Leuten, die mich als Lügner beschimpfen.

Das ist schlimm.

Das ist die Realität. Die Leute drücken sich alle so aus, als würden sie mich kennen.

Weil es Antisemiten sind?

Ich habe keine Ahnung. Ich würde sagen, ja, aber ich weiß es nicht. Ich müsste mich lange mit denen auseinandersetzen. Aber das ist sehr ermüdend, denn gegen Realitätsverweigerung kann ich nichts machen.