40 Jahre Grüne

Herzlichen Glückwunsch

Zum 40. Geburtstag der Grünen rennt die "Taz" mit Anlauf eine sperrangelweit offene Tür ein: "Wenn die Grünen von Annalena Baerbock, Robert Habeck und Winfried Kretschmann es nach 40 Jahren mit echten Verdiensten, aber viel zu viel Pillepalle und Lähmung durch den selbstfixierten Irrsinn endlich ernst meinen sollten mit der Politik für das Ganze, dann müssen sie jetzt auch aufs Ganze zielen. Das bedeutet: Weltpolitik aus dem Kanzleramt heraus. Kleiner geht es nicht mehr."
Kaum zu glauben, dass es in dieser Partei einmal eine starke linksradikale Strömung gab. Vor dreißig Jahren, Anfang April 1990, verließen unter vielen anderen auch die Hamburger Ökosozialistinnen und Ökosozialisten die Partei, weil sie wussten, auf welchen Weg die Grünen sich gemacht hatten. konkret 5/1990 dokumentierte den Text, mit dem sie ihren Austritt begründeten.

 

Wir unterstellen, daß unser Austritt nicht überrascht. Er ist eher eine verspätete Konsequenz aus einem schon länger vollzogenen Bruch. Viele Linke sind vor uns gegangen, und die meisten von uns hatten ihre Mitarbeit in den Grünen bereits aufgegeben, um sich auf andere Möglichkeiten zu konzentrieren.  

Das Datum unseres Austritts ist insofern keinem besonderen Anlaß zuzuschreiben. Selbst in der aktuellen Hinwendung der Grünen zu einem »einig Vaterland«, das wir schroff ablehnen, erkennen wir keinen Qualitätsbruch, sondern Kontinuität. Sie ist die logische Fortsetzung aller Hinwendungen. Die Grünen entschlossen sich in mehreren Etappen, ihre aus den sozialen Bewegungen mitgenommene oppositionelle, gesellschaftskritische und bisweilen kulturrebellische Politik fallenzulassen, um als staatstragende Regierungspartei wirken zu wollen. Im Zuge dieser Anpassung an das gestattete deutsche Politikmodell – die Verhältnisse von oben regieren statt zu opponieren – wurde das staatliche Gewaltmonopol in seinem Einsatz gegen rebellierende Menschen respektiert, paßten die Grünen sich programmatisch dem an, was die kapitalistische Wirtschaft verträgt, erfolgte die kulturelle Angleichung an Ordnungskriterien einer normalen deutschen Wahlpartei, die beim ideellen Gesamtwähler nicht mehr anecken möchte. Dem letzten Kriterium wurden auch viele emanzipatorische Anliegen untergeordnet.  

Entgegen unseren Vorstellungen haben die Grünen den Parlamentsbetrieb mit einem weiteren etablierten Exemplar angereichert und sich dadurch überflüssig gemacht. Der große Wunsch der grünen Mehrheit, als reputierliche Staatspartei regierungsfähig zu werden, hat zugleich ihre Not gefördert: Die Grünen sind wieder von den anderen Parteien ersetzbar. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß jeder Anlauf zur Umkehrung der innergrünen Verhältnisse aussichtslos wäre. Wir verlassen eine Partei, auf deren politisches Profil und strategische Ausrichtung wir schon seit geraumer Zeit ohne Einfluß sind. So fand die Installierung der Berliner Koalition aus SPD und Grünen enthusiastische Unterstützung bei einer überwältigenden Mehrheit der Grünen in Berlin und bundesweit. Die Zustimmung war derart unstrittig, daß ein grüner Bundesparteitag freiwillig auf die Diskussion dieses politischen Weges verzichtete. Den alliierten Truppen als Garanten der Freiheit zu danken, der Wirtschaft zu versprechen, keine Nachteile durch eine rot-grüne Regierung erleiden zu müssen und das staatliche Gewaltmonopol zu einem Schutzschild für Schwache umzuinterpretieren, standen am Beginn der Berliner Koalition. Heute herrschen in Berlin keine sozialeren, ökologischeren oder ausländerfreundlicheren Zustände als z.B. im sozialliberalen Hamburg. Die faktische Politik der Grünen wiegt wesentlich schwerer als der Streit um Worte in einzelnen Programmpassagen und Präambeln. Darin gleichen sich die regierungswilligen Landesverbände, ob sie nun mehr als realpolitisch dominiert gelten oder, wie in Berlin, mehr als links.  

In den Grünen gibt es heute nur noch wenig Zustimmung für eine Kritik des Parlamentarismus oder eine Ablehnung von Regierungsbeteiligungen im Rahmen des Kapitalismus. Daß damit auch die kulturrebellischen Momente bei den Grünen verschwinden – Rotation, imperatives Mandat, Begrenzung der Einkünfte von Abgeordneten – liegt in der Logik der Entwicklung. Wer diesen Staat und seine parlamentarischen Institutionen schätzt, braucht die einst zur Abwehr der Integrationsmechanismen entworfenen Schutzmaßnahmen nicht länger. Rotation und Regierungsbeteiligung sind tatsächlich unvereinbar.  

Der kleine Kreis, der heute die Grünen verläßt, kann von sich nicht behaupten, ein gemeinsames politisches Projekt zu verfolgen. Erst recht streben wir keine gemeinsame neue Organisation an. Ein Teil von uns bastelt an der »Radikalen Linken«, andere stecken ihre politische Arbeit in Initiativen oder autonome Zusammenhänge oder wollen feministische Politik mitgestalten oder organisieren den Widerstand gegen die rassistischen Ausländergesetze mit. Wir wissen von uns, daß wir nicht nur in den Grünen verloren haben, sondern auch in der Gesellschaft die Zustimmung zu einer kapitalistischen Wirtschaftsweise und großdeutschem Chauvinismus eher gewachsen ist. Wir gehen als Linke gegenwärtig keinen sehr rosigen Zeiten entgegen, sondern werden eher gezwungen sein, aus krasser gesellschaftlicher Minderheit unsere Politik zu entfalten. Dieser Weg scheint uns aber richtiger, als in der Rolle der Jusos bei den Grünen an der Integration von Menschen in das erlaubte deutsche Politikmodell mitzuwirken, statt ihren Bruch mit den Verhältnissen zu unterstützen.  

Wir wissen andererseits, daß es Linke und Radikalökologen in den Grünen gibt, die vieles von dem, was wir heute erklären, für richtig halten, aber (noch) in der Partei bleiben wollen, zum Teil weil sie größere Chancen für Linke in den Grünen sehen als wir, zum Teil weil sie den Zeitpunkt des Austritts für falsch halten. Das macht nichts. Wir geben ja zu, daß unser Zeitpunkt etwas willkürlich ist. Über solche taktischen Differenzen wollen wir keine politische Gegnerschaft entstehen lassen. Wer die allgemeine Sozialdemokratisierung nicht mitmacht, wird sich im Prozeß der Umgruppierung der Linken ohnehin begegnen.  

Unser Austritt aus den Grünen macht nicht hinfällig, daß wir uns auch kritisch mit unserer Politik in den Grünen auseinanderzusetzen haben, etwa mit einer Überschätzung parlamentarischer Möglichkeiten oder einer zu optimistischen Einschätzung der Möglichkeiten für linke Politik in den Grünen.  

Da heutzutage einige von uns mit der Frage konfrontiert werden, wie sie es mit der PDS halten, wollen wir Spekulationen mit einer Klarstellung begegnen. Wir erblicken in der PDS keine sinnvolle Perspektive. In einem krassen Gegensatz zu vielen prominenten Grünen, die in ihrer antikommunistischen Abgrenzungswut wohl nie aufhören werden, in der PDS den Stalinismus zu entdecken, attestieren wir ihr eine schnelle Lernfähigkeit. Unseres Erachtens lernt die PDS – nach einer notwendigen Abrechnung mit dem Stalinismus – in einem Pendelschlag zu schnell und zu viel Marktwirtschaft, Ergebenheitsadressen an das »einig Vaterland« und an die Errungenschaften des kapitalistischen Westens. Der jüngste Antrag der PDS, in die vom vaterländischen Willi Brandt geführte Sozialistische Internationale aufgenommen zu werden – einem Zusammenschluß überwiegend rechter sozialdemokratischer Parteien – ist zwar ihrem neuen Kurs angemessen, zeigt uns aber, daß wir – nach unserem formal nachvollzogenen Abgang aus den Grünen – vom Regen in die Traufe kämen.  

Hamburg, 6.4.90  

 

UnterzeichnerInnen:  

 Regula Bott, Thomas Ebermann, Peter Gercken, Udo Hergenröder, Marianne von Ilten, Heiner Möller, Marion Pein, Claudia Piltz, Maren Psyck, Christian Schmidt, Rainer Trampert; es folgen 35 weitere Unterschriften