Planet der Milliardäre

Die Filmemacher Michael Moore und Jeff Gibbs verhöhnen auf brachiale Weise die US-Umweltbewegung, was der gar nicht schmeckt. Von Peter Kusenberg

Kapitalismus und Umweltschutz schließen einander aus – diese mäßig überraschende Erkenntnis leugnen sogar linksliberale Nudeln wie die kanadische (und tendenziell antisemitische) Globalisierungskritikerin Naomi Klein nicht. Gleichzeitig boomt die Ökokonsummaschine, die entbehrlichen Elektronikquatsch und tödliche Großautos als »nachhaltig«, »green« oder gar weltrettend propagiert. Diese Phrasen und Lügen sind leicht zu durchschauen. Dennoch ist es erhellend, wenn Kritikerinnen »grüner Lügen« wie Kathrin Hartmann die Schönfärberei der Kapitalismusaufhübscher entlarven, etwa in ihrem neuen Buch Grüner wird’s nicht, wo sie stets auch das System in Frage stellt, wenn sie über Ölbaum-ödland schreibt, über Futtermittelplantagen für die deutsche Fleischindustrie sowie über 800 Kilogramm schwere Lithium-Akkus für Geländewagen zum Einsatz in der Hamburger Innenstadt.

Bei Michael Moore liegt die Sache schwieriger. Der US-Filmemacher inszenierte mit »Sicko«, »Roger & Me«, »Bowling for Columbine« und dem vergnüglichen Anti-Trump-Film »Fahrenheit 11/9« wirkungsvolle »Agitprop-Stücke« (Kay Sokolowsky), in denen er als proletarischer Aufklärer mit Schirmmütze und Sweatshirt auftritt, um die Untiefen des Waffenwahns, das menschenfeindliche US-»Gesundheits«system und die kapitalistische Verwertungslogik zur Kenntlichkeit zu entstellen. Für »Planet of the Humans« gibt er sich mit der Rolle des Produzenten zufrieden, während Dokumentarfilmer und Freund Jeff Gibbs die Regie übernahm und als Moore-typischer Erzähler den roten Faden spinnt.

Die beiden begannen ihre Aufklärungsreise in Moores Heimat Michigan, erkundeten Solarparks und spionierten auf dem Gelände eines Biomasseherstellers. Gibbs’ und Moores Botschaft ist so schlicht wie prägnant: Die US-Umweltbewegung stabilisiere das weltzerstörerische Wirtschaftssystem, wenn sie den Bau von Solar- und Windkraftanlagen propagiere, da die Betreiber für den Bau dieser Anlagen eine Unmenge an umweltvernichtenden Ressourcen wie Stahl, Beton und Fiberglas verschwendeten. Sie planieren gigantische Flächen, um Solarmodule und Windräder aufzubauen, roden kohlenstoffbindende Wälder für Biogasanlagen; Tesla verbaut in seinen E-Autos zentnerweise Aluminium, dessen Produktion »achtmal mehr Energie verbraucht als Stahl«. In Moore-typischer Zuspitzung erklärt Gibbs, dass der eigentliche Strom für ein »Öko«-Rockkonzert, dessen Bedarf durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll, aus Dieselgeneratoren stamme, die im Hintergrund brummen, während die Solarmodule im Vordergrund angeblich kaum ausreichten, um einen Toaster mit 1.200 Wattstunden zu betreiben. Ein derartiges Beispiel könnte von der Deutschen liebstem Astrophysiker Harald Lesch stammen, der in Internet und Fernsehen mit Peter-Lustig-ähnlichem Habitus erklärt, dass für den Strombedarf des ganzen Landes aus regenerativen Quellen ungefähr die halbe Fläche mit Windrädern vollgestellt werden müsse und dass man für die massenhafte Förderung von Lithiumsalz – unerlässlich für die Herstellung von Akkus – so viel Wasser benötige, dass selbst regenreiche Länder der Nordhalbkugel bald auf dem Trockenen sitzen.

Wie bei Lesch macht es Spaß, Moore und Gibbs bei der Aufdeckung grüner Lügen zuzuschauen. In Vermont besuchen sie eine Biomasseanlage, die »400.000 grüne Tonnen Bäume pro Jahr verheizt … Die Betreiber geben zu, dass sie 20 Tonnen mit Teeröl vergiftete Eisenbahnschienen pro Stunde verbrennen.« Für den Bau des Sonnenwärmekraftwerks Ivanpah in der kalifornischen Mojave-Wüste nutzten die Bauherren »so viele Ressourcen, dass man sie auch gleich hätte verbrennen können, statt Umweltschutz zu simulieren«. Das stimmt nicht ganz, wie zahlreiche Kritiker des Films nachwiesen. Moore und Gibbs bedienten sich veralteter Zahlen, um ihre These von der Vergeblichkeit des Umstiegs auf regenerative Energiequellen zu erhärten. Angeblich soll Deutschland, das die Filmemacher als positives Beispiel anführen, 1,5 Prozent des Stroms aus Solarquellen decken. Tatsächlich sind’s sieben Prozent (2019) und beim Wind beinahe siebenmal soviel, wie von
Gibbs behauptet. In Australien werden Kohlekraftwerke stillgelegt, weil Solar- und Windanlagen genügend Strom erzeugen. Die behauptete Konversionsrate von acht Prozent stimmt ebensowenig; meist werden bis zu 20 Prozent der gewonnenen Energie in Strom umgewandelt.

Während Moore und Gibbs erklären, ein Windrad wandere nach wenigen Betriebsjahren auf den Schrottplatz – was nicht stimmt –, verschweigen sie die dürftigere Haltbarkeitsdauer von Kohle- und Atomkraftwerken. Zudem inszenieren sie die Mitglieder der Umweltbewegung als Opportunisten, die mit den reaktionären Superindustriellen und Trump-Unterstützern von Koch Industries und mit dem Unternehmer und Expräsidentschaftskandidaten Michael Bloomberg gemeine Sache machten. »Die Fusion von Umweltschutz und Kapitalismus ist jetzt vollendet«, heißt es.

Die teils kapitalismuskritischen Debatten innerhalb der – äußerst diversen –
US-Umweltbewegung kommen nicht zur Sprache. Der Film zeigt, wie der amerikanische Cem Özdemir, Al Gore, mit dem Flugunternehmer Richard Branson paktiert, weil der erneuerbare Energie einsetzt, die vermutlich kaum ausreicht, um die Sitze der Piloten seiner Maschinen zu beheizen. Insbesondere die Organisation 350.org erscheint als Lügenverein, Gibbs und Moore stellen deren Gründer Bill McKibben als kompromittierten Wendehals dar. Der Wissenschaftler und ehemalige Bernie-Sanders-Unterstützer, eine Art kurzhaariger Harald Welzer, bezeichnete das Vorgehen der Filmemacher als böswillig und verwies damit auf die größte Schwäche von »Planet of the Humans«. Der Film nimmt die Grüntüncher aufs Korn und erntet folglich Lob von rechts und ganz rechts; Reaktionäre, Faschisten und Wirtschaftsliberale nutzen Gibbs’ und Moores Diskreditierung der (gewiss mehrheitlich linksliberalen) Umweltbewegung als Munition für ihre hämischen Kommentare und Anfeindungen. Ein weiteres Problem: Gibbs ist mit seinem dünnen Stimmchen ein miserabler Erzähler und kann den vorwitzigen und pointierten Plebejer-Darsteller Moore nicht ansatzweise ersetzen.

Monatelang war der Film kostenlos bei Youtube abrufbar, doch ein Urheberrechtsstreit mit dem britischen Fotografen Toby Smith führte Ende Mai dazu, dass »Planet of the Humans« aus dem Angebot verschwand; abrufbar ist er aktuell (Stand: Anfang Juni) unter anderem auf der Plattform Vimeo. Moores und Gibbs’ Diffamierungen ähneln den Mitteln, die hiesige rechte Klimawandelleugner auf Ende Gelände und Fridays for Future anwenden. Während die Filme-macher die Robin-Hood-ähnliche Organisation Treehugger als Lakai der Weltzerstörer Koch Industries verkaufen, unterschlagen sie die Bemühungen solcher Organisationen, sich in einer kapitalistischen Welt Gehör zu verschaffen.

Kathrin Hartmann erzählt in ihrem Buch von Gesprächen mit Grünen-Politiker-innen, die die Autorin fragten, ob sie kein schlechtes Gewissen habe, da sie doch für ihre Dokumentationsreisen zu den zerstörten Palmölplantagen mit dem Flugzeug nach Indonesien gereist sei. Ähnliches muss sich McKibben anhören, der, anders als im Film unterstellt, kein Befürworter der zerstörerischen Biomassewirtschaft mehr ist. Als Resümee hört die Filmzuschauerin zu schwermütiger klassischer Musik den Satz: »Es zeigte sich, dass das, was wir grüne, erneuerbare Energie genannt haben, und industrielle Zivilisation ein und dasselbe sind: verzweifelte Maßnahmen, nicht den Planeten zu retten, sondern unsere Art zu leben.« Bei Hartmann klingt das in Form eines sarkastischen Bonmots des belgischen Geografen Erik Swyngedouw so: »Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, so dass sich nichts wirklich ändern muss.«

»Planet of the Humans« schließt mit dem Appell, Milliardäre am Umweltverschmutzen zu hindern und das verflixte Bevölkerungswachstum einzustellen, was die Deutschen immer gern hören – immerhin herrscht in diesem Bereich hierzulande seit 50 Jahren Nullwachstum, während sich diese unverantwortlichen zukünftigen Weltvernichter in Nigeria und Bangladesh pro Generation verdoppeln. Diesem rassistischen Quark setzt Hartmann das Naheliegende entgegen: kein Fleisch, kein Auto, kein Flugzeug – und kein Kapitalismus.

»Planet of the Humans«; Regie: Jeff Gibbs; Produktion: Michael Moore; USA 2019; 100 Minuten; via Vimeo u. a.

Kathrin Hartmann: Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen. Blessing, München 2020, 176 Seiten, 14 Euro

Peter Kusenberg isst vegetarisch, fährt Rad, urlaubt im Zelt – und kann gut Barrikaden bauen