Innen Leben - Insyriated

Innen Leben - Insyriated

»Was macht eigentlich die Zivilbevölkerung im Krieg? In Philippe Van Leeuws Spielfilm erlebt sie den Krieg vom Balkon aus wie weiland die Gefangenen aus Platons Höhlengleichnis: indirekt, halbblind, vom Hörensagen, als Ungewissheit.« Jürgen Kiontke über »Innen Leben - Insyriated«, der seit dem 22.6. in den Kinos läuft.

Innen Leben - Insyriated

29.06.2017 15:16

Regie: Philippe Van Leeuw; mit Hiam Abbass, Juliette Navis; Belgien/ Frankreich/Libanon 2017; 85 Minuten (Weltkino); seit 22. Juni im Kino

Was macht eigentlich die Zivilbevölkerung im Krieg? In Philippe Van Leeuws Spielfilm erlebt sie den Krieg vom Balkon aus wie weiland die Gefangenen aus Platons Höhlengleichnis: indirekt, halbblind, vom Hörensagen, als Ungewissheit. Außer der philippinischen Haushaltshilfe Delhani traut sich niemand an die Luft, und auch sie sieht nur Schatten. Die künden davon, wie Scharfschützen Leute auf der Straße umlegen. Kein Wasser, kein Strom, und draußen stirbt gerade jemand – ist es gar der Mitbewohner? Es sieht aus, als trüge der Verletzte dessen Schuhe …

 Van Leeuw hat sein Bürgerkriegskammerspiel, das drei Frauen ins Zentrum stellt, in die Außenbezirke der syrischen Hauptstadt verlegt. Hausherrin Oum harrt mit Schwiegervater, Delhani und drei Kindern in ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses aus. Außerdem gewährt die kleine Gruppe einem jungen Paar aus der ausgebombten Nachbarswohnung, Halima und Samir, sowie dem Freund der Tochter Asyl, der bei einem Besuch von schweren Gefechten überrascht wurde.

 Welch ekelhafte innere Gewalt die äußere produziert, dafür bringt der Film ein schlimmes Beispiel. Zwei üble Gesellen verschaffen sich Zutritt zu der Wohnung, Halima hat es mit ihrem Baby nicht in die sicheren, verbarrikadierten hinteren Räume geschafft. Die Typen vergehen sich an ihr, die anderen erleben das Verbrechen durch verschlossene Türen mit.

 Werden sie helfen? Würden wir helfen? Der Film ist sich da nicht so sicher. Van Leeuw stellt den Schmerz in den Raum, will die ganze Aufmerksamkeit seines Publikums, verhandelt existentielle Fragen. Soll ich mich in Gefahr bringen, um andere zu retten, wenn ich womöglich selbst dabei Schaden nehme?

 Erzählt wird mit Spannung; Filme wie David Finchers »Panic Room« oder »Sieben« sind Referenzen. Je weniger man sieht, desto mehr Bilder entstehen im Kopf. Wenn man denn noch einen hat.

 Über den Syrien-Krieg hinaus stelle er Nachforschungen zur Menschenwürde an, sagt der Regisseur. Hat er gemacht, keine Gegenrede. Ihm ist ein fieser Antikriegsfilm gelungen, der Gewalt mit minimalen Mitteln darstellt und gerade damit zeigt, welche Verwüstungen sie in den Menschen anrichtet.


Jürgen Kiontke