HOFGESPRÄCHE

Kay Sokolowsky hört mit: Außenminister Heiko Maas führt eine geistreiche Konversation

Buhu im AA

Berlin, Auswärtiges Amt, Büro des Ministers. Nacht. Nur eine Schreibtischlampe spendet Licht.

Heiko Maas (schlaff im Stuhl, spricht aus dem Schlaf): Eine Tasse Kaffee kann vieles sein ...

Geist (erscheint): Hör an!

Maas: Auf Auslandsreisen ist sie oft eine Insel der Ruhe ...

Geist: Hör an, schon naht sich meine Stunde!

Maas: Oder eine Möglichkeit, die Kaffeekultur eines Landes kennenzulernen ...

Geist: Hör an, hör an!

Maas (schrickt auf): Was – wer –

Geist: Ich bin der Geist von Egon Bahr und muss mit dir ein ernstes Wort reden.

Maas: Wie, Geist von Egon Bahr? Gespenster gibt es nicht.

Geist (zupft an seinem ektoplasmatischen Leichenhemd): Das wüsste ich aber. Und glaub bloß nicht, dass ich gern hier bin. Im Willy-Brandt-Haus herumzuspuken ist viel amüsanter. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein Angsthase der Klingbeil ist. Und die Esken erst! Die fährt nur noch mit Knoblauch in der Tasche zur Vorstandssitzung.

Maas: Na schön, nehmen wir mal an, ich wäre wach und du wärst tatsächlich der Geist von Egon Bahr. Was willst du von mir?

Geist: Ich will wissen, was dieser Quatsch in London neulich sollte.

Maas: Du meinst das G7-Treffen mit meinen sechs Kollegen, bei dem wir in wichtigsten Fragen wieder einer Meinung –

Geist: Jajaja, erspar mir das Gewäsch. Ich bin zwar tot, aber nicht blöd. Zwei Außenminister, drei Meinungen: Das galt zu meiner Zeit, und das ändert sich auch nie.

Maas: Nun tu nicht so dicke – wann warst du denn mal Außenminister?

Geist: Jungchen, mir war immer schnurz, wer unter mir Außenminister spielt. Aber die Regeln sollte man kennen. Und du, du machst praktisch alles falsch.

Maas: Ach ja? Was ist denn bitte verkehrt daran, wenn liberale Demokratien sich gemeinsam gegen autoritäre Regime in der Welt aufstellen? Uns verbinden Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, und die wollen wir endlich wieder gemeinsam –

Geist (lacht frostig): Und warum baut Deutschland weiter an dieser Gasröhre, obwohl die USA dagegen sind?

Maas: Secretary Blinken und ich haben die bekannten unterschiedlichen Positionen ausgetauscht. Wichtig ist vor allem, dass wir im Gespräch bleiben.

Geist: Nein, wichtig ist, den anderen in eine Position zu bringen, in der er nicht mal mehr »piep« sagen kann. Du könntest zum Beispiel bei jeder Gelegenheit daran erinnern, wer 2020 einer der größten Importeure von Öl aus Russland war.

Maas: China?

Geist: Nein, die Amis.

Maas: Das hast du dir ausgedacht.

Geist: Das hab’ ich von »Bloomberg«: Die USA verbrauchten im vergangenen Jahr mehr russisches Öl als saudi-arabisches. So, das reibst du Mister Blinken öffentlich unter die Nase, und dann soll er mal weiterjammern, dass Europa sich von den Russen energiemäßig abhängig macht.

Maas: Aber 2020 hat noch Trump regiert.

Geist: Der war ebenfalls gegen Nord Stream 2, aus dem gleichen Grund.

Maas: Trotzdem gab es viel Übereinstimmung mit dem amerikanischen Außenminister für konkrete Politik.

Geist: Tatsächlich? Beim Atomvertrag mit dem Iran halten die USA sich weiterhin raus.

Maas: Aber sie sind gesprächsbereit!

Geist: Zu Bedingungen, die der Iran nicht erfüllen wird. Im Ernst, euch sieben Kameraden verbindet nichts und schon gar kein »Wert«, sondern bloß die Furcht.

Maas: Unsinn. Wen sollte ich denn fürchten? Ich hab’ ja nicht mal vor dir Angst.

Geist: Weil ich die Rasselkette nicht mitgebracht habe, die morschen Knochen und das andere Gedöns. Ich mein’s gut mit dir, Jungchen … noch. Und Furcht haben du und deine sechs Spießgesellen trotzdem. Dass ihr nämlich bald die zweite Geige spielt. Was sollte sonst dieses Gefuchtel Richtung China?

Maas: Das war ein Ausdruck unserer gemeinsamen Werte. Wir sind alle der Auffassung, dass es weitaus effektiver ist, Anliegen wie Menschenrechte oder Pressefreiheit gegenüber einem Land wie China viel stärker machen zu können, wenn wir das gemeinsam tun.

Geist: Und dann? Fällt in China ein Sack Reis um. Ihr seid euch doch nicht mal einig, ob Huawei am 5G-Netz mitbasteln darf.

Maas: Für uns als Außen- und Sicherheitspolitiker ist wichtig, dass dabei auch sicherheitsrelevante Fragen eine Rolle spielen.

Geist: Und für die deutsche Industrie ist wichtig, dass der Tinnef gebaut wird. Xi Jinping feixt sich doch eins, wenn ihr große Töne spuckt und gleich danach um Handelsverträge bettelt.

Maas: Na, da kommt mir der Richtige. »Wandel durch Annäherung« – war das nicht immer dein Motto?

Geist: Eigentlich war das Willys Spruch. Ich wollte Ersticken durch Umarmung. Hat am Ende ja auch geklappt. Ihr dagegen, meine Güte, ihr seid wie Heilsarmisten, die mit den Zuhältern zocken und dabei fromme Lieder singen.

Maas: Das nimmst du zurück!

Geist: Im Leben nicht. Imperialistische Konkurrenz gewinnt man nicht mit Sonntagsreden, merk dir das, Jungchen.

Maas: Eben deshalb wollen wir uns viel intensiver damit auseinandersetzen, inwieweit China seine wirtschaftliche Macht nutzt, um seinen geostrategischen Einfluss überall auf der Welt auszudehnen.

Geist: Dann solltet ihr damit aufhören, euch überall auf der Welt mit den falschen Typen zu verbünden, mit Clowns wie Guaidó oder Drecksäcken wie Bolsonaro. Du jammerst über China, doch zu den Massakern in Kolumbien oder Modis Hindunationalismus bleibst du stumm. Enorm glaubwürdig, extrem liberal.

Maas: Wie ich schon in London sagte – Wirtschaftsinteressen gibt es überall, Fragen der Menschenrechte und der Freiheitsrechte müssen aber größeren Raum bekommen.

Geist: Und ich dachte früher, dass nur die Toten nichts mehr merken. Auch wenn ich mich wiederhole – in der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.

Maas: Das eine schließt das andere doch nicht aus.

Geist: Aha? Und weshalb hat China soviel mehr Erfolg als ihr Moraltrompeter?

Maas: Weil sie alles andere ersticken.

Geist (verblasst): Wirst du es jemals lernen? Ich wittre Morgenluft. Ade, gedenke mein!

Maas (einschlafend): Eine Tasse Kaffee kann vieles sein ...

Vorhang.